Familienbande, Generationsverhältnisse und der unsichtbare Druck gesellschaftlicher Erwartungen formen Mayra Hermosillos erste Spielfilm-Arbeit als Regisseurin. Der Titel wird zum unwillkürlichen Symbol der nostalgischen Süße, welche die autobiografisch gefärbten Episoden aus der nordmexikanischen Region Comarca Lagunera der frühen 90er. Mit sozialkritischen Nuancen, pointierten Charakterporträts und emotionaler Klarheit öffnet sich auf der Leinwand ein fiktionalisiertes filmisches Familienalbum, in dem sensorische Eindrücke ebenso bedeutsam sind wie die zwischenmenschlichen Nuancen. In einem ganz von weiblichen Angehörigen geprägten Haushalt lebt die achtjährige Roberta (Paloma Petra) mit der ständigen Sorge um ihr Zuhause.
Der lebhaften Gemeinschaft aus sieben Tanten, Großmütter und weiteren Verwandten teils obskuren Grades kann der aufgeweckten Protagonistin, die Newcomerin Petra mit lebhafter Natürlichkeit verkörpert, zwar Zuneigung und Lebenserfahrung geben, aber keine ökonomische Sicherheit. Wie nachhaltig verunsichernd und belastend sich die ständige Angst um den Verlust elementarer Dinge wie einem Dach über dem Kopf sich gerade für Kinder auswirkt, kann die leichtherzige Inszenierung indes nicht vermitteln. Satte Farbtöne, warmes Licht und verspielte Kulissen voller origineller Details schaffen eine fast entrückte Atmosphäre generationsübergreifender Geborgenheit.
Der Existenzverlust erscheint in diesem von einer Aura süßer Wehmut umfangenen Rahmen nie als reales Bedrohungsszenario. Auch der Alltag der autarken Gemeinschaft, der Aurora Dávila, María Castellá, Natalia Plascencia, Rosy Rojas, Fernanda Baca und Lola Ochoa Profil und Vielseitigkeit verleihen, macht die strukturelle Instabilität nie greifbar. So erscheint die drohende Zwangsvollstreckung des alten Familienanwesens, das Tradition und Status ausstrahlt, vor allem eine allegorischer Verlust. Der vereinte Kampf gegen diese sinnbildhafte Entwurzelung betont neben der Stärke weiblicher Verbundenheit auch das Bewusstsein für Herkunft und familiäre Erbe.
Der darin angelegte Konflikt – der Traditionalismus, der gerade die weiblichen Charaktere in sozialen Rollen drängt, muss um seiner selbst Willen bewahrt werden – wird kaum berührt. Ebenso vernachlässigt bleiben die klassenspezifischen Verhaltensmuster und familiären Hierarchien. Milde Ironie und trotziger Humor im Angesicht des sich abzeichnenden Umbruchs nehmen dem Szenario seine Härte. Selbst Momente der Unsicherheit erhalten so situative Komik und einen Hauch Sentimentalität. Diese naive Verklärung untergräbt den verspielten Charme einer Coming-of-Age-Story, die von sozialem Abstieg erzählen will, aber ihre privilegierte Perspektive nicht anlegen kann.
Das Changieren des Figuren-Ensembles zwischen innerer Kraft und Verletzlichkeit, Konservativismus und Jugend, Konstanz und unfreiwilliger Veränderung spiegelt sich in Inszenierung und Dramaturgie Mayra Hermosillos Regie-Debüts. Das nutzt Momente von harschem Realismus nur als dezente dramatische Würze einer semi-fiktionalen Memoire, in der kindliche Verklärung und Retro-Romantik vorherrschen. Zärtliche Momente der Gemeinschaft überlagern den unebenen Kompromiss zwischen individueller Freiheit und familiärer Verantwortung. Der Frauenhaushalt ist hinter der possierlichen Fassade der Individualität ernüchtern konventionell. So liegt die Stärke im liebevollen Zeitkolorit und dem ausgewogenen Schauspiel.
- OT: Vainilla
- Director: Mayra Hermosillo
- Year: 2025