Je länger man Cédric Jimenez derivativen Dystopie-Thriller schaut, desto mehr wünscht man sich, der Regisseur und sein Co-Drehbuchautor Olivier Demangel hätten selbst ein Super-Computerprogramm wie den handlungszentralen Algorithmus ALMA. Die HAL-like Über-AI generiert im Paris der nahen Zukunft mögliche Verbrechens-Szenarien inklusive statistischer Wahrscheinlichkeitsberechnung für die Polizei. Genau das, was die Autoren gebraucht hätten, um nicht Laurent Gaudés gleichnamige Romanvorlage auf maximal generische Art zu verfilmen. Bereits die Prämisse evoziert ein halbes Dutzend unendlich überlegener Leinwandwerke von Blade Runner über Children of Men bis District 9.
In der futuristischen Handlungsära, die entfernt genug ist, um eine komplett mit Hightech ausgestattete Polizei zu haben, aber noch nicht entfernt genug, um den traumatischen 4 Non Blondes Hit „What‘s Going On“ vergessen zu haben, muss der übernächtigte Streifenpolizist Zem Brecht (Gilles Lellouche) mit der hochrangigen Ermittlerin Salia (Adèle Exarchopoulos) den Mord an einem Politiker aufklären. Alles weist auf ein Attentat der Anonymous-ähnlichen Widerstandsorganisation Breakwalls, deren Anführer (Louis Garrel) schon dafür verhaftet werden müsste, dass er seiner Gruppe einen so dummen Namen gegeben hat.
Natürlich ist die Wahrheit nicht ganz so simpel. Wer den ethnologischen Twist nicht längst kommen sieht und mental abschaltet, kann bei halbwegs solider TV-Niveau-Action mitfiebern, während Exarchopoulos von Drohnen gejagt wird oder Lellouche in der Seine abtaucht. Die Stunts und Effekte sind passabel, aber so ermüdend abgenutzt wie das Szenenbild. Mit riesigen Werbe-Screens, Hochhaus-Skyline und regennassen Straßen ist der städtische Schauplatz ein uninspirierter Mix aus Ridley Scott, Christopher Nolan und Luc Besson, mit einem totalitären Touch George Orwell: De Stadtbezirke sind jetzt militärisch gesicherte Zonen.
Jenen sollen Gesellschaftsklassen entsprechen, vermitteln aber ein reichlich verzerrtes Bild davon. So entspricht die Mittelklasse-Zone 2 mehr der Oberschicht, die Elite-Zone 1 beherbergt scheinbar ausschließlich Staatsleute und Plutokraten und Zone 3 scheint mal Arbeiterschicht, mal Unterklasse. Die von allen Bürger*innen verpflichtend getragenen AI-Armbänder liefern den Titel, dessen Polizeistaat-Kritik indes reichlich verlogen ist. Nicht nur propagiert Jimenez in Werken wie BAC Nord und November die rechts-populistische Law-and-Order-Ideologie, die in Chien 51 Realität ist, er macht einen wortwörtlichen Polizei-Underdog zum Helden der Story, die klassistische Negativstereotypen zelebriert.
Warum sieht Lellouches in Cédric Jimenez‘ schematischem Sci-Fi-Thriller aus als wolle er zu einem Eminem-Look-a-like-Contest? Warum trägt Exarchopoulos eine Pulp-Fiction-Perücke? Spätestens, wenn die zwei Stars in einer Szene in einer Hightech-Karaoke-Bar ätzende Pop-Songs intonieren, fragt man sich, warum die zwei und man selbst sich das antun. Hinter der technologiekritischen Fassade verklärt der verlogene Plot die Instanzen, die er zu dekonstruieren vorgibt. Ein Film wie 4 Non Blondes Theme Song: enervierend abgestanden, ermüdend unoriginell und vorhersehbar. Aber gerade deshalb das, was eine breite Masse endlos konsumieren kann.
- OT: Chien 51
- Director: Cédric Jimenez
- Year: 2025