Ein ums andere Mal wiederholen Charaktere beschwörend den Namen des titelgebenden Sittich, dem prominente auf dem Poster platzierten Maskottchen der gleichnamigen italienischen TV-Show der 80er und Marco Bellocchios epischer Adaption eines der berüchtigtsten Gerichtsprozesse des Landes. Einen solchen verarbeitete der Regisseur und Co-Drehbuchautor bereits in seinem letzten Spielfilm Kidnapped, dessen knapp über zwei Stunden Laufzeit fast spartanisch wirken gegenüber den erschlagenden sechs Stunden des in Venedig außer Konkurrenz uraufgeführten Justiz-Skandals. Der dem zugrunde liegende historische Kriminalfall gibt diese dabei durchaus her.
Im Handlungsjahr 1983 ist der landesweit bekannte TV-Moderator Enzo Tortora (ein fähiger Fabrizio Gifuni in seiner vierten Zusammenarbeit mit Bellocchio) auf dem Zenit seines Ruhms. Seine jeden Freitagabend ausgestrahlte Unterhaltungssendung “Portobello” ist ein Straßenfeger mit einem 26-Millionen-Publikum. Was die scheinbar beliebige Mischung aus Dating-Show, Vermissten-Reportage, Produkt-Präsentation und einem Gewinnspiel unter Einbezug des sprechenden Studio-Sittichs Portobello so erfolgreich machte, belässt die formelhafte Inszenierung ebenso im Dunkeln wie Tortoras Haltung zu seinem überwiegend provinziellen Publikum. Dazu zählen auch der inhaftierte Mafia-Boss Raffaele Cutolo (Gianfranco Gallo) und sein Zellennachbar und Handlanger Pandico (Lino Musella).
Beide sind regelrecht besessen von der Show und ihrem Moderator, den Cutolo um jeden Preis zu Fall bringen will. Dieser zielgerichtete Hass ist das größte Rätsel der schematischen Story, die das Szenario mit reichlich flacher Exposition etabliert und dann nach dem A-B-C-Muster chronologischer herunterbetet. War es willkürliche Missgunst? Fallout eines obskuren Plans, in dem der TV-Star das Bauernopfer war? Eine simple Verwechslung seitens Cutolos? Seine aberwitzigen Beschuldigungen, habe hunderte Kilo Kokain geschmuggelt, stoßen auf erstaunlich offene Ohren. Insbesondere bei den katholisch-konservativen Kräften in Staats- und Justizwesen.
Sie schienen dankbar für einen Anlass, den erklärten Liberalen als skrupellosen Schwerverbrecher zu enttarnen. Doch der bedenkliche Einfluss politischer Parteien auf das Gerichtsverfahren bleibt eine dramaturgische Randnotiz, genau wie die kuriose Interessenüberschneidung von Rechtsapparat und organisiertem Verbrechen. Statt die mediale Manipulierbarkeit der kleinbürgerlichen Zuschauerschaft von „Portobello“ näher zu untersuchen, begnügt sich Bellocchio mit einem gleichermaßen wohlfeilen und verkürzten Konstrukt opportunistischer Medienhetze. Das übliche Arsenal von Anwälten, Reportern und Kolleg*innen können dem mageren Skript kaum Substanz geben.
Ironischerweise werden gerade der TV-Look der bühnenhaften Kulissen, erkennbaren Studiobauten und des frontalen Schauspiels zur unausgespielten inszenatorischen Trumpfkarte Marco Bellocchios konventionellen Kriminalstücks. Die als 6-teilige Mini-Serie oder kolossaler Spielfilm konsumierbare Verfilmung ist auf doppelter Ebene eine TV-Story: ein Fernsehprodukt über ein Fernsehprodukt, das auf Archivaufnahmen und detailgetreuen Segmenten lebendig wird. Doch der oberflächliche Ansatz scheitert daran, die glamouröse Promi-Welt mit dem harschen Realismus dumpfer Gefängniszellen und politischen Inszenierungen zu verknüpfen. Was bleibt ist ein handwerklich solides, analytisch frugales Porträt von Medienmacht, Justizversagen und menschlicher Tragödie.
- OT: Portobello
- Director: Marco Bellocchio
- Year: 2025