“Es kann nur eine Wahrheit geben”, sagt eine polizeiliche Ermittlerin in dem titelgebenden Mordfall Stefano Sollimas vierteiliger True-Crime-Serie. Die Wahrheit interessiert allerdings wenig in der reißerischen Revision des wohl berüchtigten Serienmörders Italiens. Ein nächtlicher Schauplatz wie aus einem Horrorfilm, ein verruchtes Szenario, heimlicher Sex, ein unbekannter Killer und bestialische Verbrechen voll perverser Details: Fast scheint es, der Täter hätte sich eine grelle Verfilmung gewünscht, so perfekt eignen sich die Taten zur medialen Ausschlachtung. Genau die liefert Sollimas in Venedig uraufgeführtes Episoden-Quartett, dessen archaischer Moralismus und aggressive Misogynie in bezeichnender Analogie zum gesichtslosen Titelcharakter stehen.
„Hassen Sie Frauen?“, fragt die Ermittlerin (Liliana Bottone) einen von vier Verdächtigen, deren Story jeweils eine Episode füllt. Die Frage drängt sich auch gegenüber Sollima auf. Die rein fiktive Figur der Inspektorin dient als plumpe Retusche der unübersehbaren Tendenzen der stark fiktionalisierten Story. Der dient die Mordreihe lediglich als Vorwand zum Zelebrieren patriarchalischer Gewalt und sexuellen Sadismus. Deren Selbstzweck unterstreicht die erfundene oder marginale Verbindung zur eigentlichen Mordreihe. Jene traft von 1968 bis 1985 im Umkreis von Florenz acht Pärchen. Alle hatten sich nachts am Straßenrand im Auto für Zweisamkeit zurückgezogen und wurden aus kurzer Distanz erschossen.
Mit Ausnahme eines schwulen Paares wurden bei allen Morden die Genitalien der weiblichen Leichen verstümmelt. Ein mehrfach in Dialogen betontes und deutlich vorgeführtes Detail, aus dem als Expositions-Stimme dienende Inspektorin schlussfolgert: „Diese Angriffe gelten Frauen“. Tatsächlich ist der reale Fall komplexer. Das Täterprofil entspricht jemandem, der freie Sexualität – insbesondere, aber nicht nur bei Frauen – zugleich neidet und verurteilt, und die weiblichen Betroffenen zugleich bestrafen will und begehrt. Nach dem gleichen Muster verfährt die Inszenierung, die sich ausschließlich am ersten Fall abarbeitet. Während das männliche Opfer Kollateralschaden scheint, vertieft sich der Plot in den Hintergrund des weiblichen Opfers Barbara Locci (Francesca Olia).
Sie wird buchstäblich in die Ehe mit dem mental beeinträchtigten Stefano Mele (Marco Bullitta) verschleppt, genießt dann aber plötzlich Sex mit ihm. Beider perverser bisexueller Untermieter Salvatore Vinti (Valentino Mannias) verführt Stefano und beide missbrauchen Barbara. Nach Salvatores Auszug stürzt sie sich in wilde Affären, unter anderem mit seinem Bruder Francesco (Giacomo Fadda). Als er sich von ihr wegen ihrer Freizügigkeit abwendet, hat sie noch mehr Affären und wird schließlich Opfer des Serienmörders. Inzwischen missbraucht Salvatore seine zweite Ehefrau, nachdem er die erste ermordet hat. Sein Sadismus und seine Soziopathie erscheinen dabei direkte Ursache seiner queeren Begierde und untrennbar mit dieser verbunden.
Die unverhohlen homophoben Stereotypen und das verachtungsvolle Frauenbild, das fortgesetzten Missbrauch als Verführungsmethode ohne traumatische Konsequenzen (außer Schwangerschaft, die zu adretten Familien führen) zeigt, sind noch reaktionärer als die Handlungsära. Jene besteht aus sepiagetränkten Studio-Settings in Ocker-, Braun- und Orange-Tönen und fahles Licht. Die Kamera bewegt sich als ruhige Beobachterin durch diese Retorten-Retro-Welt voller adretter Fundus-Kostüme und Requisiten. Die hölzernen Dialoge erklären dem Publikum die Theorien, die eine nach der anderen durchgespielt werden. Immer wieder sieht man die gleiche Situation leicht verändert, was Spannung gänzlich abtöten würde – wäre sie je aufgekommen. Doch Sollima geht es nicht um Suspense, sondern sexistische Schaulust.
Zum Auftakt und Ende jeder Episode springt das Szenario in die Gegenwart zu zwei weiteren der sechzehn Opfer. Doch die angetastete Auseinandersetzung mit deren Fällen erfolgt nie. So stagniert die versprochene Verarbeitung der Mordreihe bei den endlosen Spekulationen über einen vergleichsweise uninteressanten Doppelmord. Den historischen Eindruck, den die Beschreibung des erst von den Medien und schließlich sogar der Polizei so getauften „Monsters“ als Italiens erster Serienkiller anzeigt, ignoriert die abstruse Handlung ebenso wie zeitpolitische und gesellschaftliche Faktoren der jeweiligen Mordfälle. Deren Opfer bleiben gleichgültige Namen während die tragenden Figuren zu lebensfernen Karikaturen überzeichnet sind. Das durchwachsene Schauspiel verstärkt diese Unglaubwürdigkeit.
Dass der Titelcharakter Stefano Sollimas sensationalistischer True-Crime-Reihe bis heute nicht gefasst wurde, nimmt das offene Ende vorweg. Jenes ist indes reine Formalität in der Inszenierung, die eindeutige auf einen Verdächtigen weist. Dahinter steht jedoch weder eine glaubhafte Theorie, noch ein cleverer fiktiver Plot, sondern ein heuchlerischer patriarchalischer Puritanismus und archaische Gender-Rollen. Dieser aggressive Reaktionismus gerät zu einer indirekten Rechtfertigung der Verbrechen, die als verdiente Strafe für vermeintliche sittliche Übertretungen erscheinen. Mit diesem Duktus ist die Mini-Reihe wahrhaftig ein Monstrum, allerdings ein moralistisches.
- OT: I’ll Mostro
- Director: Stefano Sollima
- Year: 2025