„Man muss bei dir viel interpretieren, Kaspar Hauser“, sagt der Priester (Fabrizio Gifuni) des tristen Eilands, auf dem Die Legende von Kaspar Hauser ihren konfusen Lauf nimmt , zu der geisteswirren Titelfigur (Silvia Calderoni). Tatsächlich ist es Davide Manuli, der hier das Publikum quasi anbettelt, in sein missglücktes Filmexperiment irgendetwas hineinzudeuten. Hätte die Inszenierung des Beket-Regisseurs einen Bruchteil der Tiefsinnigkeit, die sie behauptet, käme vielleicht mehr heraus als der nüchterne Befund: Hirnverbranntheit.
Leere ist das einzige, das die karge Instrumentalisierung der titelgebenden Legende erzeugt. Mal schwarz, mal weiß, mal eine Zwischenstufe beider Kontrastfarben, in deren Spektrum die Bilder verharren. Niemals aber ist sie etwas anderes als das: Leere. Zwischen zwei aufdringlichen Der-Kreis-schließt-sich-Einstellungen regieren dramaturgische Hohlheit und vorgebliche Dialog-Improvisation. Dass Zweite tatsächlich keine ist, verrät das Unvermögen der Darsteller von Texttafeln abzulesen, ohne jeder Zeile mit dem Kopf zu folgen. Ambitionslosigkeit beherrscht auch den öden Schauplatz, nachdem ein androgyner Junge in Jogging-Hose vom Meer angeschwemmt wurde. Der Pusher und der Sheriff (beides Vincent Gallo) zeigen träge Verwunderung, der Priester theologische Aufregung, die Gräfin (Claudia Gerini) beiläufige Staatsräson, ihr entstellter Diener Drago (Marco Lampis), der Besitzer eines Mulis („Das ist kein Pferd!“), die Hure (Elisa Sednaoui) Gleichgültigkeit.
Die statischen Bilder lullen in einen Dämmerschlaf, aus dessen Armen die Elektro-Beats von VITALIC reißen. Die Monotonie des Soundtracks wird zum Verstärker der optischen Eintönigkeit des Ruinenorts, wo alles ein Relikt scheint. Requisiten, die ausrangiert, Protagonisten, die aussortiert und Sets, die verlassen wirken ergeben in der Summe nicht mehr als ein Abfallprodukt. Ein solches ist die Mär über einen mutmaßlichen Adelsspross im ADIDAS-Anzug, eine „Yeah“s und „Right“s ausspuckende Western-Karikatur, die sich mit einer Biker-Karikatur Disco-Duelle liefert, und antiquierte soziale Prototypen. Das Absurde maskiert das intellektuelle Vakuum des Films. Manuli interessieren einzig Pseudoprovokationen: Marken, Missbildungen, Musikgeräte, Markierungen. Eine Texttafel berichtet von Anno Zero, Land X, Meer Y. Diese Kurzformen paraphrasiert der Priester als göttlich: „Beschränkt auf das Wesentliche!“
Wenn sonst nichts los ist, muss was passiert und gesagt wird, ja höhere Bedeutung haben – oder? Das ist das Maximum dramatischer Logik Manulis, der konstatiert: Versuche man mit der kurzen Lebensdauer Kasper Hausers umzugehen, seinen die am häufigsten verwendeten Worte „Rätsel“ und „Geheimnis“, aber er wolle dem Ganzen noch Wörter hinzufügen: „surreal“ und „Fantasie“. Gereicht hat es nur zu „Nervigkeit“ und „Ödnis“.
- OT: La leggenda di Kaspar Hauser
- Regie: Davide Manuli
- Drehbuch: Davide Manuli
- Produktionsland: Italien
- Jahr: 2012
- Laufzeit: 95 min.
- Cast: Vincent Gallo, Claudia Gerini, Elisa Sednaoui, Fabrizio Gifuni, Silvia Calderoni, Marco Lampis
- Kinostart: 25.07.2013
- Beitragsbild © Ascot Elite Home Entertainment