Bildung sei ihre einzige Chance. Das hört die kindliche Protagonistin Jawad Rhalibs beobachtenden Dokumentarfilms immer wieder. Ihre Lehrerin an der entlegenen Dorfschule, die alten Frauen der kleinen Gemeinde in den Bergen Marokkos, sogar ihre strenge Stiefmutter und die gleichaltrigen Klassenkameradinnen: Alle bedrängen die Zahira, ihre Ausbildung nicht nach der Grundschule abzubrechen wie so viele Mädchen in der von eherner Tradition und patriarchalischen Hierarchien geprägten Gemeinschaft. Dort ist der vom männlichen Familienoberhaupt vorgeschriebene Weg für die meisten Töchter der in eine Kinderehe.
Dieses elende Schicksal mehrfacher Mutterschaft und zermürbender Haus- und Feldarbeit möchte Zahira um jeden Preis vermeiden. Die einzige Möglichkeit dazu erscheint unermüdliches Lernen, um ein Stipendium an der Oberschule zu erhalten, zu studieren und, wie es eine der Dorfältesten nennt, „jemand nützliches für die Gesellschaft“ zu werden. So jemand ist in den Augen der ungebildeten Dorffrauen eine Polizistin, Anwältin oder Ärztin. Wenn es Alternativen dazu gibt, hat die ganz auf die verschlossene Hauptfigur konzentrierte Observation keinen Blick dafür.
Der belgisch-marokkanische Regisseur übernimmt dieses begrenzte Lebenskonzept wie selbstverständlich. Die naturalistische Inszenierung impliziert nicht einmal Kritik an der rigiden Entweder-Oder-Perspektive. Jene lässt keinerlei Raum für andere Optionen wie etwa die künstlerische Laufbahn, die Rahlib selbst gewählt hat. Doch was wünscht sich Zahira? Die Kamera folgt ihr auf Schritt und Tritt, fixiert ihr nachdenkliches Gesicht, ihren Blick in die Ferne. Doch dieser zudringliche Blick erfasst nie das Wesen der Hauptfigur. Sie bleibt letztlich eine Projektionsfläche – auch für die Ambitionen des Regisseurs.
Menschenskizze und Milieustudie verwebt Jawad Rahlib zu einem dokumentarischen Gesellschaftsdrama, das tiefergehende Fragen aufwirft, als das schlichte Konzept tragen kann. Das unilaterale Narrativ kritisiert eine Form struktureller Beschränkungen und sozialer Zwänge, nur um eine andere zu legitimieren. Dass schließlich das verheerende Erdbeben von 2023 das Leben der Hauptfigur und das Filmgeschehen erschüttert, enthüllt unfreiwillig den Einfluss der Kamera auf die scheinbar authentischen Ereignisse. So wird aus dem exemplarischen Porträt jugendlicher Resilienz und hart erkämpften Fortschritts eine Relativierung dokumentarischer Wahrhaftigkeit.
- OT: Puisque je suis née
- Director: Jawad Rahlib
- Screenplay: Jawad Rahlib
- Year: 2025
- Distribution | Production © R&R Productions