Das physische Meistern halsbrecherischer Hindernisse wird zum Mittel der Überwindung psychischen Hürden. Das Erklimmen schwindelerregender Höhen wird zur Metapher eines unwahrscheinlichen Aufstiegs. Todesverachtung kommt mit der ultimativen Lebensbejahung. Selbstgestellte Risiken und das Ignorieren wahnwitziger Gefahren wird zum Instrument politischen Widerstands. Areeb Zuaiters dokumentarisches Diptych steht vor einem überwältigenden Reichtum schillernder Paradoxa und komplexer Dynamik. Doch statt es ihrem tollkühnen Parkour-Protagonist gleichzutun und die inszenatorischen Herausforderungen in Angriff zu nehmen, vermeidet die Palästinensische Regisseurin sämtlichen filmischen Wagnisse.
Diese ängstliche Assimilation liefert eine ernüchternd eindimensionale Perspektive auf Parkour als Stunt-Show, mit der Performer ihren prekären Lebensumständen entkommen wollen. Zugleich blockiert den Fokus auf Gazas Parkour-Szene, deren Talents zwischen Ruinen und Schutt nach einem Gefühl von Freiheit suchen, ihre autobiografische Nabelschau. Jene beginnt mit einem Zwiegespräch der in den USA lebenden Filmemacherin mit ihrer Mutter. Der Dialog ist indes rein hypothetisch, da die Mutter bereits verstorben ist und Zuaiter so mit sich selbst über sich selbst redet.
Ähnlich egozentrisch ist ihr Kontakt mit dem in Gaza lebenden Athleten Ahmed Matar. Der junge Parkour Künstler vollführt mit seiner Crew atemberaubende Akrobatik in oft lebensgefährlichen Höhen auf und über Beton, Sand und Stein. Während Terror und Tod in Gaza wüten, macht Ahmed Handstand auf Hochhaus-Ballustraden. Solche Szenen versinnbildlichen auf fesselnde Weise das Paradox seiner Passion. Der heimliche Hauptcharakter und seine Clique überwinden mit aberwitzigen Risiken einen kurzen Adrenalin-Rush lang eine permanente Bedrohung.
Wie jene die Gefahren des Extrem-Sports steigert, wird beunruhigend deutlich, wenn ein bei einem Sturz schwerverletzter Sportler eine ganze Woche auf seine Ausfuhr in ein israelisches Krankenhaus warten muss. Nicht nur solche tragischen Höhepunkte betonen die Distanz zwischen beider Welten: räumlich, politisch, gesellschaftlich und mental. Während Ahmed sich mit existenzialistischen Fragen konfrontiert ist, sinniert Zuaiter über biografische Banalitäten und ihr interkulturelles Image. Ihre vorgebliche Freundschaft zu Ahmed, dessen Videos sie zufällig online gefunden hat, hat den unangenehmen Beigeschmack von Instrumentalisierung.
Statt der dokumentarischen Nahaufnahme der palästinensischen Parkour-Szene liefert Areeb Zuaiters doppelgleisige Doku eine unausgegorene Mischung aus autobiografischer Selbstdarstellung und Video-Collage. Jene Videos des Extremsportlers Ahmed Matar und seiner Freunde, die Gazas Besatzungszone zu ihrem Abenteuerspielplatz machen, sind der eigentliche Grund, sich das partizipatorische Portrait anzusehen. Die von der Regisseurin lediglich amplifizierten Handy-Clips tollkühner Akrobatik zeigen das Grauen in Gaza gefiltert durch eine von zornigem Lebensmut geprägten Perspektive. Eine unendlich spannendere und relevantere Perspektive als die Zuaiters.
- OT: Yalla Parkour
- Director: Areeb Zuaiter
- Screenplay: Areeb Zuaiter, Phil Jandaly
- Year: 2024
- Distribution | Production © Kinana Films