Stellenbosch University steht für drei Dinge. Dessiniere in umgekehrter Reihenfolge: Elitarismus, Exklusivität, Diskriminierung. Die Elite-Universität im südafrikanischen Provinz-Ort Stellenbosch rankt regelmäßig als eine der international führenden Bildungseinrichtungen unter anderem in Politik, Jura, Theologie und Geographie. Studienplätze an der 1918 gegründeten Institution zählen zu den begehrtesten des Landes – jedenfalls für weiße Studenten. Wer kein weißer Mann ist hat es schwer an der Lehreinrichtung, bekannt ist für Gender-Diskriminierung und insbesondere eskalierenden Rassismus. Zweiter erhielt internationale Aufmerksamkeit dank eines kompakten, aber einschneidenden Dokumentarfilms.
Fabienne Steiners Film über Stellenbosch ist nicht dieser Dokumentarfilm. Das unilaterale Porträt, das die Schweizer Regisseurin im Nationalen Wettbewerb von Visions du Réel präsentiert, ist vielmehr ein manipulativer Gegenentwurf zu dem rund halbstündigen YouTube-Video, das 2015 viral ging. Luister („Listen“), so der Titel, versammelt Interviews über die schockierenden Erfahrungen Studierender. Abfällige Behandlung, Beschimpfungen und rüde Gesten sind an der Tagesordnung, körperliche Abgriffe keine Ausnahme. Beschwerden bei Lehrkräften und der Schulleitung bleiben erfolglos; wenn überhaupt werden die BIPOC Studierenden verantwortlich gemacht.
In den folgenden Jahren sickerten immer wieder Berichte rassistischer Vorfälle durch. Laut unabhängiger Bestandsaufnahmen erlebt eine überwältigende Mehrheit der Studierenden rassistische und sexistische Diskriminierung, ganz zu schweigen vom inhärent klassistischen Zugangsmodus der kostspieligen Lehranstalt. Ein Jahrzehnt nach Luister ist die Zeit reif für eine Rekapitulation der Verhältnisse an Stellenbosch. Doch Steiner nimmt nie Bezug auf das Video. Ihr euphemistisches Exposé schwelgt in sonnigen Campus-Aufnahmen und engagierten Gruppengesprächen. Die lichte, offene Architektur wird zum Sinnbild einer organischen Verbindung von Tradition und Moderne.
Die Mischung aus Interviews, beobachteten Gesprächen, Unterrichts- und Kursporträts sowie Sozialkultur inszeniert den schulischen Schauplatz geschickt als progressives Ideal. Rassismus scheint hier lediglich ein abstraktes Problem, das den multiethnischen, queer-toleranten Studierenden fremd ist. Dass nie klar wird, auf welchem der fünf Campi gefilmt wurde, ist noch eine der lässlichen Auslassung. Steiner und Co-Drehbuchautor Michael Bolliger etablieren nie, warum nur Studenten zu sehen sind. Keine einzige negative Erfahrung gibt ein Gegengewicht zu den ausschließlich positive Darstellungen. Afrikanische Sprachen werden scheinbar gefördert.
In der Realität klammerte sich die Uni verbissen an Afrikaans. Noch 2022 existierten laut Studierenden keinerlei Protokolle für den Umgang mit diskriminierenden Vorfällen, seien sie rassistisch (wie der Fall, als weiße Studenten auf die Schulsachen ihres Schwarzen Mitschülers urinierten) oder queerfeindlich (non-binäre Studierende werden von Bouncern aus den Frauen-Toilettenräumen ferngehalten). Hingegen erweckt Steiner den Eindruck, dass es zahlreiche Mediatoren, präventive Kurse und eine angeregte Debattenkultur gäbe. Selbst vorgeblich beiläufige Bemerkungen wirken für die Kamera auswendig aufgesagt. Einstudieren ist auch Studieren.
Die Frage, wie Südafrikas umstrittene Elite-Universität Stellenbosch mit dem rassistischen Erbe umgeht, verweist unfreiwillig bereits auf die verzerrte Perspektive Fabienne Steiners dokumentarischer Image-Kampagne. Rassismus ist an Stellenbosch kein Relikt der Vergangenheit, sondern ein aktuell, dringliches Problem. Doch die Inszenierung negiert das ebenso systematisch wie den am irreführend idyllisch erscheinenden Schauplatz grassierenden Sexismus und Queerfeindlichkeit. Die Diskrepanz zwischen alarmierenden Berichten von den Zuständen an der Uni und der filmischen Vision ist so drastisch, dass man sich unwillkürlich fragt, woher die Produktionsgelder kommen.
- OT: Fitting in
- Director: Fabienne Steiner
- Screenplay: Fabienne Steiner, Michael Bolliger
- Year: 2025
- Distribution | Production © point de vue