Freude ist toll. Das ist die eine Botschaft des jüngsten Pixar-Abenteuers. Was Pete Doctors einfallsreichen Animationsfilm besonders macht, ist jedoch die zweite Botschaft: Trauer ist genauso wichtig wie Freude. Erst das Zusammenspiel verschiedener Emotionen schafft ein harmonisches Gesamtbild. Diese Erkenntnis hilft schließlich der Hauptfigur zu einem besseren Verständnis dessen, was man „Persönlichkeit“ nennt, und dem imaginativen Animationsfilm zu überraschender Tiefe.
Die heimliche Heldin der 3D-Reise in die emotionale Schaltzentrale der 11-jährigen Riley (Sprecherin: Kaitlyn Dias) ist Freude (Amy Poehler) höchstpersönlich. Sie steuert zusammen mit den anderen personifizierten Gefühlen Kummer (Phyllis Smith), Angst (Bill Hader), Ekel (Mindy Kaling) und Wut (Lewis Black) an einer Art mentalen Konsole, was Riley gerade fühlt. Bisher hatte Freude von Rileys erstem Atemzug das Steuer fest in der Hand. Ekel warnt vor Dubiosem Zeug wie Brokkoli, Wut stellt sicher, dass es trotzdem Dessert gibt und Angst beschützt die kleine Riley beim Toben vor Gefahren. Aber Kummer? Kummer ist wortwörtlich eine Spaßbremse, von der keiner – nichtmal Kummer selbst – weiß, wozu sie eigentlich gut ist. Als Rileys Eltern (Diane Lane, Kyle MacLachlan) mit ihr vom ländlichen Minnesota nach San Francisco ziehen, versucht Riley anfangs tapfer das Beste aus der unvertrauten Situation zu machen. Nur will das mit der Fröhlichkeit in der auf den ersten Blick abweisenden neuen Umgebung nicht klappen. Die aufgekratzte Gute-Laune-Stimmung, die Freude weiter durchzuziehen versucht, mündet in einem folgenschweren Unfall: Freude und Kummer fliegen aus der Schaltzentrale und müssen mühsam den Weg dorthin zurück finden. Inzwischen übernehmen Angst, Wut und Ekel das Steuer.
Die wichtigste Rolle neben Freude spielt in der auf Geisteslandschaft Phyllis Smiths pessimistische Melancholie. Sie entdeckt, dass sie den kostbaren Kernerinnerungen in Rileys bisher wohlsortierter Psyche durch bloßes Berühren eine ihre symbolische Farbe geben kann. Ruft Riley nun schöne Erlebnisse von früher ab, fühlt sie sich plötzlich blue. Der Sprachwitz der individuellen Farben der verschiedenen Emotionen geht in der deutschen Synchronisation unweigerlich verloren, genauso wie einige originelle Allegorien für den englischen Sprachgebrauch. Die einfühlsame Story bleibt von solch kleinen Einbußen jedoch unberührt. Up-Regisseur Pete Doctor und seinen Co-Autoren Meg LeFauve und Josh Cooley gelingt es, das unendlich Komplexe des menschlichen Wesens auf originelle Weise greifbar zu machen. Humor und Nachdenklichkeit halten sich dabei angenehm die Waage, ganz im Sinne der sensiblen Message: Traurigkeit mag wie ein überflüssiges Gefühl erscheinen, aber sie ist trotzdem unverzichtbar. Trauer ermöglicht Empathie, Verständnis und zeigt Riley, die sich genauso verloren fühlt wie Freude und Kummer auf ihrer beschwerlichen Reise, was im Leben wirklich wichtig ist.
Besonders bedeutsam ist diese Akzeptanz der unterschiedlichen seelischen Stimmungslagen in einer Gesellschaft, in der gut drauf sein als Norm gilt und Sich-Nicht-Freuen oft als Mangel an positiver Einstellung oder bedenkliche Abweichung ausgelegt wird. Inside out ist ein Film, den man im positiven Sinne mit gemischten Gefühlen betrachtet.
- Beitragsbild © Walt Disney