Oscar Wilde lag mit seinen Sprüchen genau richtig. Immerhin das beweist Rupert Everetts Regiedebüt. Wie sagte der irische Autor im Leben, wenn auch nicht auf der Leinwand? Es gibt zwei Tragödien im Leben: Die eine ist, nicht zu kriegen, was man will. Es war tatsächlich tragisch, dass Everett fast zwei Jahrzehnte lang das Biopic des ikonischen Dichters nicht produziert bekam. Er hat die Biografie des wortgewandten Dandys quasi aufgesogen. Er hat nach seinem eigenen Coming Out selbst reichlich Diskriminierung erfahren und unausgesprochene Ressentiments trugen dazu bei, dass der spannende Stoff eine Ewigkeit vor sich hin witterte, bis er das Licht des Kinos erblicken durfte. Aber da ist eben nur die eine Tragödie. Die andere ist, zu kriegen was man will.
Als Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller realisierte Everett seinen in düstere Farben getauchten Abgesang auf ein Schicksal, das exemplarisch für die viktorianische Doppelmoral steht. Doch der zwischen behäbiger Elegie und salbungsvoller Eulogie wankende Plot setzt den maroden Künstler in pathetischen Posen mit Heiligenstatuen und Jesus am Kreuz gleich. Wildes fatale Faszination für Märtyrerrollen manifestiert sich in plakativer Theatralik und düpiert sein Genie. Das habe er in sein Leben gesteckt, verkündete Wilde. Wahre Worte. Sein Laufbahn war übervoll mit Bonmots, Szenen, Affären, Skandalen, Drama und Kann-man-sich-nicht-ausdenken-Momenten. Warum ignoriert das Drehbuch die Anstrengungen des gebrochenen Helden und erfindet Nebenfiguren und Episoden dazu? Im Geiste sieht man Wilde praktisch auf dem Père Lachaise entnervt im Grab rotieren und ausrufen: Leute, was wollt ihr noch?
Die Antwort: Einen Vulkanausbruch! Eine Geistererscheinung! Eine schiefe Gesangsnummer, und zwar mehrfach! Und dann noch die Gesangsnummer von der Geistererscheinung! Dieses Trara ist keineswegs spaßig wie „The Canterville Ghost“. Wilds legendärer Witz blitzt kaum je auf, genau wie sein Charme. Warum sich Ex-Frau Constance (sträflich unterfordert: Emily Watson), Ex-Lover Robbie (Hugh Dancy) und Freund Reggie (Colin Firth) von ihm ausnehmen und -nutzen lassen, bleibt schleierhaft. Ebenso unergründlich bleibt die Beziehungsdynamik zwischen Wilde und dessen egoistischem On/Off-Partner Lord Alfred Douglas (Colin Morgan). Liebe, Leidenschaft und Esprit verblassen zu leeren Behauptungen. Authentisch ist lediglich die von drogenberauschten Episoden unterbrochene Resignation eines Menschen, der schmerzlich erkennen muss, dass eine Tragödie selbst zu leben entschieden unbequemer ist als sie auf der Bühne zu inszenieren.
In sein lange gehegtes Wunschprojekt steckt Rupert Everett spürbare Hingabe und ein emphatisches Porträt des gestürzten Darlings der Londoner Gesellschaft. Doch das zwischen Wildes desolatem Ende und Erinnerungsfetzen an verlorenen Ruhm taumelnde Epitaph krankt an übermäßiger Melodramatik und psychologischer Diskordanz. Überzeugend ist einzig das realistische Elend eines peinvollen Todes. Ein schwacher Trost angesichts der vertanen Chance auf das definierende Wilde-Biopic ist, dass die Mankos des Regisseurs die des Protagonisten spiegeln: Selbstüberschätzung und ein Faible für Real-Life-Desaster.
- OT: The Happy Prince
- Regie: Rupert Everett
- Drehbuch: Rupert Everett
- Produktionsland: Deutschland, Belgien, Italien
- Jahr: 2018
- Laufzeit: 105 min.
- Cast: Rupert Everett, Anna Chancellor, Julian Wadham, Béatrice Dalle, Antonio Spagnuolo, Franca Abategiovanni, Thierry de Coster, Joshua McGuire, Kit Lloyd, Jacky Druaux, Sam Barrett, Jean-Luc Bubert
- Beitragsbild © Berlinale