Der Alfred P. Sloan Prize, der Mike Cahills nachdenklichem Regiedebüt verliehen wurde, ist womöglich der unbekannteste des Sundance Festivals. Vergeben an einen Film, der Wissenschaft oder Technologie zum Hauptthema hat oder einen Wissenschaftler als einen der Hautprotagonisten, wirkt er befremdlich für das metaphysische Drama. Die Meditation über Sehnsucht und Hoffnung entrückt ihre naive Fantastik von einer Preiskategorie, die für Biopics und Dokumentationen geschaffen scheint. Doch das futuristische Rebus wird der Auszeichnung seltsam gerecht.
Ein Charakter ist ein Professor, der auch privat seinem Fach nachgeht. Doch John Bourroughs (William Mapother) Lehrfach ist Musik, er selbst Komponist – oder war es, in einem anderen Leben, das für immer vorbei ist. Seine Lebensfreude ist gestorben, als er Frau und Kind durch einen Autounfall verlor. Rhoda (Brit Marling) arbeitet in bizarrer Selbstbestrafung als Putzfrau an der Universität. Vor ihrer vierjährigen Haft studierte sie hier Astrophysik und besuchte Parties. Nach einer solchen hat sie betrunken die Straße aus den Augen verloren und John durch ihre Schuld Frau und Kind. Der biografische Riss verbindet die stille junge Frau und den verstummten Komponisten.
Ihr Schweigen steht sinnbildlich für die unüberwindbare Mauer, die einstige und gegenwärtige Existenz trennt. Abkehr vom Leben in eine innere Welt der Trauer und Schuld macht das Abschließen mit der Tragödie unmöglich. Das Unwiederbringliche der Vergangenheit quält beide gleichermaßen und schafft eine unwahrscheinliche emotionale Verbundenheit. Nur Rhoda weiß, dass beider Schicksale verknüpft sind, doch statt die biografischen Fesseln zu lösen, schnürt sie sie noch enger. Unfähig, um Verzeihung zu bitten, gibt sie sich John gegenüber als Haushaltshilfe aus. Während sie in Fronarbeit eine untilgbare Schuld abzuleisten versucht, tritt sie indirekt an die Stelle von Johns Familie.
Johns Koma nach dem Unfall ist das Pendant zu Rhodas Haft: ein Totenschlaf, aus dem beide in eine Welt erwachen, die nichts mit der ihnen vertrauten gemein hat und doch die gleiche ist. Die Parallelen zwischen den Charakteren umrahmt eine kosmische Doppelung. Das Titelobjekt, eine zweite Erde, erblickt Rhoda erstmals in der Unfallnacht. Zum Handlungszeitpunkt ist die sogenannte Earth 2 so nah, dass Raumfahrten zu ihr ausgeschrieben werden. Auf ein Ticket hofft auch Rhoda. Das andere Leben rückt zum Greifen nah. Über den Figuren leuchtet die heile Welt am Nachthimmel, verlockend und unerreichbar. Die filmische Konstellation stellt gleich der Kosmischen Symbolik über Realismus. Paradoxerweise verursacht der Himmelskörper die tragische Wendung in Rhodas Leben, aufgrund der sie sich verzweifelt an sein Hoffnungsversprechen klammert.
Die gravitätische Handlung fragt nach der Gültigkeit von Schuld und Vergebung, die in einer Parallelrealität nicht existieren. Die Vorstellung einer zweiten Erde ist ebenso tröstlich wie gespenstisch. Denn welche Bedeutung hätten Sterblichkeit, Trauer, Angst und Liebe, die zu Variablen werden, zu Missgeschicken, die eine Reise ins All annullieren kann? Das Versprechen einer zweiten Chance ist trügerisch. In der Parallelrealität würde ein anderes Ich warten, dass seinen Platz verteidigt. Die Überflüssigkeit, der die Protagonisten entfliehen wollen, würde am Zielort erst absolut. Eine drückende Vision vergeblicher Sehnsucht, ähnliche der nach der besseren Inszenierung, der stets zum Greifen nahe scheint.
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