So pointiert wie Iciar Bollain die routinierte Bevormundung ihrer unterdrückten Heldin (erneut die hervorragende Candela Peña) einfängt, so fahrlässig übergeht die Regisseurin und Co-Drehbuchautorin patriarchalische Sozialkonzepte, strukturelle Diskriminierung und materielle Unfreiheit hinter Rosas Dauerverpflichtung. Die ist nicht nur systematisch, sondern systemisch in einer Gesellschaft, die weibliche Lohnarbeit schlechter honoriert und vorwiegend Frauen auferlegte Care-Arbeit wenig bis gar nicht würdigt. Doch gerade der Verweis auf die repressiven Mechanismen, die einen zermürbenden Alltag wie den der als unbezahlte Nanny, Altenpflegerin und Haushälterin ausgenutzten Kostümbildnerin Rosa konstituieren, fehlt bezeichnenderweise der Tragikomödie, die im Gegensatz zur Hauptfigur zur Emanzipation nur ein Lippenbekenntnis ablegt.
Lieber geht Bollain in der bestenfalls oberflächlich unkonventionellen Handlung den etablierten Weg des Victim Blaming. Schuld an ihrer Ausbeutung ist die Protagonistin. Sie versäumte, sich gegen familiäre und berufliche (Über)Forderungen abzugrenzen wie etwa die Frau ihres frisch getrennten Bruders. Armando (Sergi Lopez) begreift Rosas symbolische Selbstheirat noch weniger als ihre kinderlose Schwester Violeta (Nathalie Poza). Trotzdem machen beide eine psychologische Kehrtwende. Noch unglaubwürdiger ist die offenbare Auflösung zuvor bemühter Geldsorgen. Rosas gefeierte Selbstverwirklichung finanziert ihr übergriffiger Papa. Wirtschaftliche Abhängigkeit, die auch die Lebensträume von Rosas verstorbener Mutter und erwachsenen Tochter (Paula Usero) erstickte, ist damit nicht aufgelöst, sondern zementiert.
- OT: La boda de Rosa
- Regie: Iciar Bollain
- Drehbuch: Icíar Bollaín, Alicia Luna
- Produktionsland: Spain
- Jahr: 2020
- Laufzeit: 97 min.
- Cast: Sergi López, Candela Peña, María José Hipólito, Nathalie Poza, Paula Usero, Ramón Barea, Eric Francés, María Maroto, Xavo Giménez, Paloma Vidal, Lucín Poveda
- Kinostart: 12.11.2020
- Beitragsbild © Piffl Medien