Am Waldrand liegt ein kleiner Friedhof. Manche Steine tragen Namen und Widmungen in Arabisch. Andere anonyme Ruhestätten markieren nur Plastikplaketten mit Daten. Es seien Gräber Geflüchteter, erklärt eine Protagonistin Zuzanna Solakiewiczs und Zvika Gregory Portnoys aufwühlenden Dokumentarfilms. „Und es ist noch Platz für mehr.“ Das eindringliche Geflecht aus Reportage-Drama, Investigativ-Doku und Personenstudie beginnt an diesem Ort, der zum bedrückenden Symbol der brutalen Wandlung des bewaldeten Grenzgebiets zwischen Polen, Belarus und Russland wird. Die Green Border ist zu einer Todeszone geworden.
Die Menschen, die hier ihr Leben verlieren, sind die Opfer eines perversen Hybrid-Krieges zwischen Russland, Belarus und Europa. Belarus erlaubt Flüchtenden, die meisten aus dem Mittleren Osten und Nordafrika, freien Zugang zur EU. Doch die polnische Grenze ist dicht. Bewaffnete Patrouillen treiben die Menschen zurück nach Belarus. Von dort werden sie wieder zurück nach Polen gedrängt. Es ist ein grausames politisches Scharmützel mit menschlichen Kugeln. Seit einigen Jahren hat Polen ein etwa drei Kilometer weites Gebiet an der Grenze abgezäunt.
Weder Hilfsorganisationen noch Presse dürfen die Zine betreten; nur Militär, Polizei und nur Anwohnende. Zu letzten zählt Maciek, der mit seiner Familie in einem einfachen Haus auf der polnischen Seite der Wälder lebt. Als die Kamera das Geschehen festhält, ist der Schlüsselmoment, der in einer Verfilmung des Materials ein dramatischer Höhepunkt wäre, bereits vorüber: Der Moment, als ein erschöpfter Mann plötzlich vor der Tür stand. Macieks Mutter hat ihn eingelassen. Vielleicht dachte sie an die leeren Plätze auf dem Waldfriedhof.
Alhyder und seine Gruppe wurden von Wachen überrascht. Macieks Haus war seine letzte Chance. Der junge Syrer spricht zwar fließend Englisch, aber Maciek nur gebrochen und seine Mutter gar nicht. Bis sie die Sprachbarriere mit Übersetzungs-Apps verringern, ist die Atmosphäre angespannt. Die Mutter ist nervös, weil ihr unerwarteter Gast einen Drahtschneider dabei hat. Alhyder hat panische Angst vor den Patrouillen, die er durch die Spitzengardinen vorbeigehen sieht – und ein bisschen vor dem Wolfsfell vorm Kamin. Auch die Geflüchteten sind Gejagte.
Daran erinnern harte Schnitte zu den Jagdtrophäen im Zimmer. Wie erschreckend diese düstere Parallele zum Schicksal der in der Green Border gefangenen Menschen zutrifft, zeigt eine Exkursion in das verbotene Zone. Bereits in ihrem 2023er Kurzfilm „Good News“ hatten die Regisseurinnen eine Hilfsorganisation in den dieses Gebiet begleitet. Die Szenen von Kälte, Nässe und Hunger, die den bereits entkräfteten Geflüchteten zusetzen, führen vor Augen, das die Zone mehr als ein nationalpolitische Strategieraum ist. Sie ist keine zufällige Todesfalle, sondern eine absichtliche.
Beethovens und Schillers „Ode an die Freude“, die Zvika Gregory Portnoys und Zuzanna Solakiewiczs harsches Dokument einrahmt, klingt a Ende nur noch wie eine grausame Parodie der darin hochgehaltenen Menschengemeinschaft. Die EU-Hymne erinnert an die Ethik und Ideale, die in der Grauzone zu diesem humanistischen Versprechen bereits missachtet werden. Die Wärme und Mitmenschlichkeit innerhalb des kleinen Hauses, das die Regisseurinnen besuchen, und die bewaffneten Suchtrupps unmittelbar davor zeigen zwei gegensätzliche Interpretationen des Titelworts einer ebenso dringlichen wie ethisch aufrüttelnden Dokumentar-Thrillers.
- OT: Gość
- Director: Zvika Gregory Portnoy, Zuzanna Solakiewicz & Michal Bielawski
- Screenplay: Zvika Gregory Portnoy, Zuzanna Solakiewicz
- Year: 2025
- Distribution | Production © Plesnar & Krauss FILMS