Heruntergekommene Hütten, Müllberge. Eine von der Handkamera begleitete Beschreibung von Manilas Slums eröffnet Marlon Riveras filmischem Diskurs. In Anführungszeichen. Regieanweisungen von Filmstudent Rainier (Kean Cipriano), der mit Kumpel und Produzent Bingbong (JM de Guzman) nach Ruhm strebt. Erreichen wollen sie ihn mit einem als sozialkritisches Drama getarnten Elendsporno, der Zuschauererwartungen von Verzweiflung, Elend und Kinderprostitution erfüllt. „Die Festivalprogramme wollen es nicht anders“, weiß Rainier, der für die Hauptrolle der verzweifelten Mutter Mila (Eugene Domingo) die Star Eugene Domingo (Eugene Domingo) will. Doch nicht nur sie hat eigene Vorstellungen von dem Projekt, das mal als Doku-Fiction, Musical oder Melodram vor Augen von Protagonisten und Kinopublikum ersteht.
„Kontrovers“ wollen es die aalglatten Filmemacher, denn was „die Grenze zwischen Realität und Fiktion verwischt, macht es cooler!“ Gilt leider nicht für Riveras Werk. Das erstickt jeden Ansatz von Doppelbödigkeit in Selbstverliebtheit. Die Effektivität basiert auf den dramaturgischen Mechanismen, die sie zu hinterfragen vorgibt, ohne dies jemals zu tun. Diese Technik ist weder originell noch raffiniert oder gar selbstironisch. Künstlerisch stehen filmisches und diegetisches Schaffen auf gleichsam niedrigem Niveau: noch ein Level tiefer als die kalkulierten Kommerz-Produktionen, die Rivera mit inszenatorischen Spielchen vorzuführen behauptet. Verblendet von hyperreferenzieller Überlegenheit, ist er unfähig, die unfreiwillige Selbstpersiflage zu erkennen. Das Meta-Musical ähnelt einem verkleideten Kind, das die fadenscheinige Kostümierung seines Gegenüber verspottet, ohne zu begreifen, dass es sein Spiegelbild auslacht.
So was funktioniert auf Festivals. Ich geb´ dir mein Wort drauf.
Dass Drehbuchautor Chris Martinez ausgerechnet auf die Independent-Szene, in der sein eigenes Werk wurzelt, abzielt dient augenscheinlich zur Rechtfertigung seines neu etablierten Mainstream-Status. Denn was, wenn nicht Mainstream, sind ein preisgekrönter Erfolgsautor und ein Regisseur, deren Film auf diversen Festivals lief, zum von Kritikern verhätschelten Aushängeschild und Oscar-Kandidaten wurde, vom Verleih ungewöhnlich günstige Startbedingungen erhielt und die höchsten Einspielergebnisse in der Geschichte des philippinischen Kinos erzielte? Echtes Independent-Kino kann es laut der Handlungsprämisse nicht geben. So ist es zugleich logisch und absurde Ironie, dass sich mit Mercedes Cabral, Cherry Pie Picache und Eugene Domingo gleich ein Trio philippinischer Schauspielstars auf das Projekt stürzte.
Wie Domingo gesteht: „Euch Indie-Typen mag ich am Liebsten“ Besser, als ambitionierte Low-Budget-Produktionen zu verhöhnen, ist sich mittels ihnen vom eigenen Star-Nimbus zu distanzieren und sich deren aufgeklärtes Prestige anzueignen. Resultat ist die Faux-Parodie eines Faux-Auteurs, für dessen kreative und handwerkliche Defizite die Prämisse zum Sicherheitsnetz wird. Dummerweise wiegen die qualitativen Mängel selbst dafür zu schwer. Die ersten Song-Zeilen sind nicht mehr amüsant nach x Wiederholungen, die nahelegen, dass Martinez schlicht bloß eine Strophe einfiel. Sämtliche Protagonisten sind Variationen eines Stereotyps, die Dialoge nur Namedropping. Dabei fehlt nicht die Berlinale, wo der fragwürdige Spaß den beabsichtigten Eindruck erzielt: Das Gefühl, zu viel verlogene Gesellschaftskritik im Kino gesehen zu haben. Gerade eben.
- OT: Ang babae sa septic tank
- Regie: Marlon Rivera
- Drehbuch: Chris Martinez
- Produktionsland: Philippinen
- Jahr: 2011
- Laufzeit: 87
- Beitragsbild © Berlinale