Eine junge Frau rennt nachts durch die Straßen, bricht in ein verlassenes Schulgebäude ein. Ein unbekannter Anrufer gibt ihr einen Hinweis und sie öffnet einen Spint, aus dem ein gefesselter nackter Typ fällt. Eine brennende Leiche fliegt aus einem Hochhausfenster. Am nahe gelegenen Flussufer erzählt ein Angler unterdessen einem anderen von einer Geisterfrau im Wasser. Die nächtlichen Angler, zu denen Isao Yukisadas Manga-Adaption in Abständen zurückkehrt, sind ein treffendes Gleichnis für den Regisseur. Der wirft zu Beginn seines verworrenen Sex-Melodramas die brennende Leiche wie einen Publikums-Köder aus. Wer wissen will, welcher von dem halben Dutzend Protagonisten da wie ein weggeschnipptes Streichholz endet, muss bis zum Ende der knapp zwei Stunden Laufzeit sitzen bleiben.
Viele Besucher des Press-Screenings des Eröffnungsfilms der Panorama Sektion halten nicht bis dahin durch. Die Charaktere sind krude, ihre Handlungen irrational und der Plot ist mit der Flut greller Enthüllungen und abstruser Wendungen nicht besser. Auch dafür liefert die Story eine passende Metapher. Der Fluss schwemme allerlei Müll und eklige Sachen an, kommentiert Haruna Wakagusa (Fumi Nikaido), die zu Beginn durch die Nacht rannte. Auch der Plot ist ein brackiger Fluss trashiger Einfälle und auf Ekelwirkung angelegter Szenen. Mit Körperflüssigkeiten und möglichst viel Nacktheit zu schocken, hat Priorität vor Figurenentwicklung und Handlungsaufbau. Warum treibt es Haruna mit dem sexsüchtigen Schläger Kannonzaki (Shuhei Uesugi), der es nebenbei mit seiner als Callgirl arbeitenden Klassenkameradin Rumi (Shiori Doi) treibt?
Warum küssen sich Haruna und ihre Model-Klassenkameradin Kozue (Sumire)? Wieso geht der schwule Ichirō Yamada (Ryo Yoshizawa) mit einer nervigen Mitschülerin? Was ist mit der Leiche am Flussufer? Wieso hilft Yamada seinem schlimmsten Bully Kannonzaki? Womöglich gab es in Kyoko Okazakis Manga-Vorlage plausible Erklärungen dafür. Yukisadas aufgegeilte Seifenoper hat keine. Vermutlich glaubt der Regisseur mit einem Faible für Klischees (essgestörtes Model, verfressene Dicke, schwuler Außenseiter, dauergeile Schulmädchen, messerschwingende Psycho-Schwester), Teenager seien eben so drauf. Teenager? Die sollen der Cast aus Mitte/ Ende 20-Jährigen darstelle. Authentizität kommt damit und dem hemmungslosen Overacting nicht auf. Satire? Nein, River‘s Edge versteht sich offensichtlich als schonungsloses Porträt einer abgestumpften Jugend. Aber dafür reicht die Jahresangabe „1994“ nicht.
Indem Isao Yukisada den gleichnamigen Manga mit einer Dosis Sex & Trash auf reißerisches Psychodrama trimmt, erstickt er das filmische Potenzial der durchaus interessanten Vorlage im Keim. Die sich den Schulalltag mit Sex, Mordversuchen und Flussspaziergängen vertreibenden Protagonisten bleiben konturlose Klischeebilder vor trübsinniger Kulisse. Letzte immerhin sorgt für ein Minimum an Schauwerten.
- OT: Ribâzu ejji
- Regie: Isao Yukisada
- Drehbuch: Kyôko Okazaki, Misaki Setoyama
- Produktionsland: Japan
- Jahr: 2018
- Laufzeit: 118 min.
- Cast: Sumire, Fumi Nikaidô, Ryô Yoshizawa, Shuhei Uesugi, Aoi Morikawa, Misaki Setoyama, Shiori Doi,
- Beitragsbild © Berlinale © Takarajimasha