“The goal is to make something funny, beautiful, spiritual, political, complex, simple, and true.”, heißt es einmal in Pete und Seth Scrivers dokumentarischem Debüt-Film. Das wird diesem hochfliegenden Anspruch letztlich tatsächlich gerecht, gerade in den Momenten, in denen es scheinbar scheitert. Oberflächlich betrachtet tut das Langzeitprojekt, an dem die Regisseure und Halbbrüder fast zehn Jahre arbeiteten, fast alles, was eine Doku nicht machen sollte. Es gibt kein klares Thema und viel zu viele Themen, die nur angeschnitten werden. Der filmische Fokus verliert sich ständig in Nebenereignissen, die mittendrin abgebrochen werden.
Wie die Anekdote mit der Falle, die Pete aufstellt, und deren Köder dann runterfällt. Also will Pete den Köder vorsichtig wieder befestigen. Dabei schnappt die Falle seine eigene Hand, sodass er festsitzt, mitten in Kanadas verschneiter Wildnis, und seinen Sweater hat er im Auto gelassen … Lässt sich so ein relevanter Dokumentarfilm machen? Absolut.
Die Beziehung der Brüder offenbart ebenso viel über individuelle Familienbande wie über das Leben Kanadas Indigenous Peoples. Ihnen gehört Petes Mutter an während Seths Mutter weiß ist. Seth lebt in Toronto, Pete im nördlich abgelegenen Örtchen Shamattawa.
Der winzige Ort liegt auf dem anerkannten Land der Shamattawa First Nations. Ihre Kultur, Spiritualität, Tradition und anhaltender Kampf gegen systemische Gewalt und staatliche Unterdrückung sind essenzieller Teil Petes Erinnerungen, die er in ausführlichen Gesprächen mit seinem Bruder teilt. Der facettenreiche Bericht macht die intuitiven Episoden zu einem vielschichtigen Zeitzeugnis, das Privates mit Universellem verbindet. Landfrauen, die unverhältnismäßig hohe Inhaftierung von Indigenous People, die verheerenden Folgen der Zwangsassimilierung durch sogenannte „Residential Schools“. Kollektive Erinnerungen, generationsübergreifende Traumata und überliefertes Wissen werden zum subjektiven Spiegel einer vielschichtigen Kulturtradition und deren sozialpolitischer Ungleichbehandlung.
Seths grundverschiedene Lebensrealität als weißer Großstädter, der als 16 Jahre Jüngerer schon einer anderen Generation angehört, fungiert als Gegenentwurf. Für ihn sind die Berichte seines Bruders faszinierende Geschichten, losgelöst vom Schmerz der Erfahrung und dem Bewusstsein direkter und gemeinschaftlicher Betroffenheit. Doch es ist Seth, der den Endless Cookie ins Rollen bringt und seine Animationen geben der impulsiven Inszenierung ihren einzigartigen Look. Die farbintensiven Illustrationen erinnern an Kinderbücher und noch mehr Kinderbilder. Ihre imaginative Assoziation interpretiert Petes Hund Peanut als vierbeinige Erdnuss (mit Hut) Seths idealistische kleine Tochter Cookie als Titelfigur.
Der Entstehungsprozess Pete und Seth Scrivers famoser Animation’s-Doku ist essenzieller Bestandteil der substanziellen Memoiren. Ursprünglich konzipiert als eine Sammlung von sieben Anekdoten, die Pete seinem jüngeren Halbbruder Seth erzählen sollte, wuchs das Projekt zu etwas Umfassenderen. Ein fragmentiertes Lebensbild wird zum persönlichen Prisma von Indigenuous Kulturgeschichte. Humor, hintergründige Systemkritik, Selbstironie und zwischenmenschliche Nähe über alle sozialen und lokalen Distanzen hinaus machen die detailreichen Szenarien zwischen Zeichentrick, Collage und Computeranimation emotional so berührend wie stilistisch originell. Die elliptische Struktur wird zum schlichen, doch wirksamen Symbol der Verbundenheit: familiär, kreativ und geistig.
- OT: Endless Cookie
- Director: Seth Scriver, Pete Scriver
- Year: 2025