Cathy ist verschwunden. Heimlich, still und leise ist das kleine Mädchen den Eltern entwichen. Gleich einem scheuen Tier aus dem Wald, der das Wochenendhaus umgibt. Die Erwachsenen haben nichts bemerkt. Wie sollten sie auch? „Nie sehen sie mich an“, klagt Cathy (Wynona Ringer) zuvor. Unhörbare Worte, welche die kleine Heldin von Olivier Ringers magischer Kinofabel im Geiste spricht. „Ich glaube, sie bemerken gar nicht, dass ich da bin.“ Also stellt Cathy Vater und Mutter auf die Probe. Von der spannenden Reise des kleinen Mädchens in das tDickicht von Selbstbestimmtheit und Freisein erzählt die feinsinnige Abenteuerfabel.
Das haben die Eltern davon, dass sie die kindliche Heldin nie beachten. Aus Trotz bleibt sie allein im Wochenendhaus zurück und erkundet mit kindlicher Aufgeschlossenheit die umliegende Natur. Deren Geheimnisse stehen sinnbildlich für die komplizierte Erwachsenenwelt. Das Unbeaufsichtigtsein beginnt als Spiel, doch mit dem aufkommenden Hunger wird es ernster. Konservendosen lassen sich nicht einfach öffnen. Ein mit Papas Angel gefangener Fisch wird ihr Freund und Freunde werden nicht gegessen. Sind die gefundenen Pilze womöglich giftig? Und ist das Wilde, dass um ihre Höhle schleicht, gar der Wolf?
Ohne Albernheit und Naivität nimmt das kurzweilige moderne Märchen die kindliche Perspektive ein. Elterliche Sicherheitsvorkehrungen sind störende Einschränkungen, denen sie in der ungebändigten Natur entwischt. Der selbstbestimmte Weg führt die von Ringers eigener Tochter verkörperte Figur zu ungekannten Herausforderungen, stellt sie vor ethische Fragen und eine essentielle emotionale Entscheidung. Das sanfte Kinderabenteuer vermischt Motive von Perrault und Grimm ebenso leichthändig wie Realität und Phantasie. Womöglich ist Cathys Reise nur geträumt, doch darum nicht minder bedeutsam und sehenswert.
- OT: A Pas de Loup
- Regie: Olivier Ringer
- Drehbuch: Olivier Ringer, Yves Ringer
- Produktionsland: Frankreich
- Jahr: 2010
- Laufzeit: 77 min
- Cast: Wynona Ringer
- Beitragsbild © Berlinale