Ein Wimpernschlag, ein Flügelschlag und Johans Mutter ist fort. Nachts auf lautlosen Schwingen ist der Federkönig zu dem kleinen Haus, in das Johan und seine Eltern gezogen sind, gekommen und hat die Mutter mit in sein Reich genommen. Von dort darf niemand je zurückkehren, erklärt der Vater, der genauso betrübt wie hilfslos ist. Johan bleibt nicht einmal Zeit zum Abschied, nur eine blaue Feder und die landet genau auf seinem Kopf. Für seinen Vater ist sie ein Zeichen, dass der Federkönig auch Johan holen könnte. Dabei wünscht sich der unverzagte Held von Esben Toft Jacobsens einfühlsamer Animationsfabel nichts sehnlicher als das.
Wenn er in das Königreich des Federkönigs gelangt, kann er seine Mutter von dort zurück holen, glaubt Johan fest. Seine mit feinem Humor und leiser Melancholie dargestellte Logik ist die eines Kindes, das die Begriffe „niemals“ und „unmöglich“ nicht akzeptieren kann und will. Hinter dem beständigen in Frage stellen der Regeln, die ihm sein Vater und später der Federkönig als unabänderliche Gegebenheiten erklären, steckt nicht Trotzigkeit – die hebt sich das malerische 3D-Abenteuer für eine chaotische Erwachsenenfigur auf – sondern Sehnsucht und Hoffnung. Beide lassen Johan, der seiner Mutter regelmäßig Flaschenpost schreibt, keine Ruhe. Johan wiederum lässt seinem Vater keine Ruhe. Der hat alle Hände voll zu tun, das Schiff, auf dem er mit seinem Sohn aus Furcht vor dem Federkönig auf hoher See lebt, in Schuss zu halten. Als ihn ein Besorgungsgang von Bord wegruft, beantwortet Johan einen Funkspruch des anarchischen Konstrukteurs Radio Bill. Der stapelt nicht nur beim Errichten seiner kuriosen Bauwerke gerne hoch und hat mit dem Federkönig eine eigene Rechnung offen. Genauer gesagt: einen Freifahrschein. Der ist quasi ein Einberufungsbefehl in das magische Reich, dem Bill partout nicht folgen will. Johan ergreift dankbar Bills Ticket und damit die einzige Chance auf ein Wiedersehen. Das jedoch hat größere Konsequenzen, als er sich vorstellen kann.
Die der Realität nachempfundene Welt Johans und das Reich des Federkönigs mit seinen expressionistisch in den Himmel ragenden Bauten und Steingötzen existieren in Balance. Ein orakelhaftes Tentakelwesen erstellt die Tickets, ohne die niemand das Reich des Federkönigs betreten darf. Der blaugefiederte König, der aus der Ferne einem bedrohlichen Raubvogel gleicht, doch aus der Nähe einem weisen Sagentier, bestimmt die Regeln nicht, er stellt nur sicher, dass sie eingehalten werden. Die meisten Gerufenen reihen sich ruhig in die Schlange, in der Johan sich ungeduldig vordrängelt, und besteigen gelassen das wartende Schiff. Das trägt Johan als blinden Passagier auf die andere Seite, deren symbolische Bedeutung Jacobsen unaufdringlich, doch unverkennbar hervorhebt. Ihre Regeln sind die der Natur, die aus den Fugen gerät, wenn die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits offen stehen. Johan, der die Gebote des Federkönigs rationell umgehen will, begreift dies schneller als Radio Bill, der sie willkürlich boykottiert. Indem er den Boten des Federkönigs ein ums andere mal entwischt, meint Bill seine Freiheit zu bewahren. Tatsächlich ist jedoch ein Dasein, das nur aus Furcht, Flucht und Verstecken besteht, viel eingeschränkter als es im Reich des Federkönigs wäre.
Mit Gespür für die Verständnisgabe der jüngeren Zuschauer, die von Kinderfilmen viel zu oft unterfordert oder für dumm verkauft werden, gestaltet die Abenteuerreise einen Kompromiss zwischen Loslassen und Festhalten angesichts schmerzhafter Trennung. Der Regisseur, der vor zwei Jahren den wunderbaren Der große Bär zu Berlinale Generation führte, erzählt eine Version des Mythos von Orpheus und Eurydike in schillernden Farben und fantasievollen Bildern, deren schlichte Botschaft bedeutsam ist als missionierende Moral: Don’t fear Reaper.
- Beitragsbild © Berlinale / Noble Entertainment