Wo ist die Liebe? Die Antwort auf die unbeantwortbare Frage der grüblerischen Heldin, der Hong Sangsoo durch zwei melancholische Episoden ihres jungen Lebens folgt, liegt direkt vor den Augen auf der Leinwand. Dort ist die Liebe zu den lebensechten Charakteren, nuancierten Darstellern und einer unaufgeregten Bildsprache, die nachhaltiger berührt als lautes Drama. Der koreanische Regisseur und Drehbuchautor verknüpft in seinem Berlinale-Wettbewerbsfilm intime Konversation und Aufnahmen von naturalistischer Schönheit zu einem filmischen Poem, dessen Titel nicht zufällig von Walt Whitman inspiriert ist. Die Verse des amerikanischen Dichters expandieren das Geschehen, dessen Vielschichtigkeit sich erst stückweise erschließt.
„A vast similitude interlocks all,
All spheres, grown, ungrown, small, large, suns, moons, planets
All distances of place however wide,
All distances of time, all inanimate forms,
All souls, all living bodies, though they be ever so different, or in different worlds“
Die universelle Verbundenheit ist das unsichtbare Band zwischen den Figuren, deren Erlebnisse an die Sangsoos preisgekrönten Right Now, Wrong Then. Allumspannende Emotion ist die Liebe, die wie von selbst für die gleichermaßen selbstbewusste und sensible Hauptfigur entsteht. Liebe sei nicht einmal sichtbar, sagt Younghee (Kim Min-hee) bei einem der gemeinsamen Tischgespräche, die ein konstantes Element in den Werken des Filmemachers sind. Mit Freunden und alten Bekannten isst die Schauspielerin und trinkt den allgegenwärtigen Reisschnaps Sojo, der ihr oft zu Kopfe steigt.
Die Enthemmung ist in der von strikten Verhaltensregeln dominierten Kultur ebenso Befreiung von sozialen Zwängen. Berauscht kann Younghee ihre frohgemute Maske ablegen und von negativen Gefühlen sprechen. Trennungsschmerz, Verlorenheit und seelische Einsamkeit verbergen sich auch hinter der äußerlichen Zufriedenheit der Gesprächspartner, die wie sie ein unbestimmtes Ideal von Zweisamkeit ersehen. Die Vergeblichkeit dieser Suche kann Menschen erzittern lassen, aber sie birgt auch eine eine Schönheit; ein stummer Trost neben der pragmatischen Gewissheit: „Bereuen wird nichts ändern“.
Zärtliche Landschaftsaufnahmen, bittersüßer Humor und ein leiser Hauch von psychischer Isolation knüpfen die zwei fragmentarischen Kapitel der filmischen Novelle aneinander. Der Schwesternfilm zu Hong Sangsoos letztem Meisterwerk ist sanftes Philosophieren um die ewigen Motive von Zusammensein, Loslösung und Autarkie. In einer malerischen Umgebung ist die Einsamkeit noch überwältigender, aber cineastisch dafür umso bewegender.
- OT: Bamui haebyun-eoseo honja
- Regie: Hong Sang-soo
- Drehbuch: Hong Sang-soo
- Produktionsland: Korea
- Jahr: 2017
- Laufzeit: 101 min.
- Cast: Young-hwa Seo, Jung Jae-young, Moon Sung-keun, Song Seon-mi, Jae-hong Ahn
- Kinostart: 25.01.2018
- Beitragsbild © Berlinale