In seinem sophistischen Off-Kommentar preist John Chester naturbelassene Vielfalt, Abwechslung und einem komfortablen Zustand von Unangepasstheit. Doch in der kitschigen Doku des Filmemachers und Farmers findet sich nichts von der gepriesenen Natürlichkeit. Wie der Pesthauch von Agrargiften über angrenzenden Farmen des Landstücks, das der Regisseur und seine Frau Molly in ein landwirtschaftliches Ideal umbauen, liegt, erstickt die interessante Story unter einer undurchdringlichen Lackschicht kalkulierter Eigenwerbung und familienfreundlicher Niedlichkeit. Cineastisch ist die Hymne auf einen Mann, seine Vision und seinen Hund das Äquivalent einer Monsanto-Monokultur. Alle organisch gewachsenen Konflikte wurden ausgemerzt und statt ihrer künstlich modifizierte eingepflanzte.
Über der Szenerie liegt die synthetische Konstruiertheit gleich der Wachsschicht auf gespritzten Äpfeln. Die Kunden will es so, denn das Industrieprodukt entspricht ihrer Wunschvorstellung mehr als das Original. Dergleichen kommerzielle Weisheiten sind Grundlage von Chesters Erfolg, nicht die eines vorgeführten Öko-Gurus namens Alan York. Er berät den unerfahrenen Protagonisten und Molly, die als Initiatorin, Planerin und Miterbauerin der Bio-Farm noch stärker marginalisiert wird als die ehrenamtlichen Helfer und Landarbeiter, welche wortwörtlich die Drecksarbeit machen, wenn ein Berg Dung weggeschaufelt werden muss. Obwohl er unablässig vorgibt, in natürliche Entwicklungen nicht eingreifen zu wollen, tut er es permanent.
Nicht nur auf der Farm, wo das Paar Boden abträgt, Hügel aufschüttet, Wildwuchs ausreißt, Hunderte Obstsorten anpflanzt, Tierarten jagt und ansiedelt. Chester redet von Renaturierung, aber lässt sich Wagenladungen von Entenküken per Paketpost schicken. Glaubt er echt, Enten und Gänse reisen in freier Wildbahn per Luftpost ins Winterquartier? Und ihr natürliches Leben sei das eines Nutztiers? Die idealistische Vision demaskiert sich als Marketingmodel. Jeder hat in dem, was Molly „Paradies“ nennt, eine festgeschriebene Funktion. Mollys ist die, ihm einen Sohn zu gebären, der sein Lebenswerk erben kann. York ist der Lehrmeister, der den Schüler am Scheideweg zurücklässt.
„Er starb zum falschen Zeitpunkt“, referiert Zweiter vor einer der Besuchergruppen, die „sein“ Wunderwerk bestaunen. Dabei kommt Yorks Tod dramaturgisch so passgenau, dass man sich fragt, ob der nicht nur Bluff ist. Doch Ethik- und Geldfragen vermeidet der glattgeschliffene Plot. Das Investoren-Budget war angeblich verbraucht, bevor überhaupt gesät werden konnte. Trotzdem wird im großen Stil weitergebaut. Wovon? Wovon lebt York, der offenbar unbezahlt Berater spielt. Mehrfach vernichten Schädlinge Großteile der Ernte. Wie wurden die finanziellen Verluste aufgefangen? Statt dergleichen Rätsel zu lösen, erzählt Chester von Todd, „dem glücklichsten Hund der Welt“, der Herrchen angeblich inspirierte. Wow.
„Alles begann mit einem Versprechen an einen Hund“. So starten Disney-Kinderfilme. Und eine Erfolgsgeschichte, die Chester mittels seiner putzigen Naturaufnahmen und ausgefeiltem Sauber-Image auf der Leinwand weiterschreiben will. Der Wahrheitsgehalt der makellos zu einer dramatischen, moralisch belehrenden Story aufgereihten Jahreskapitel ist dabei ähnlich fragwürdig wie der Idealismus, dessen der Regisseur sich pausenlos rühmt. Was eine Lektion in Nachhaltigkeit hätte sein können, ist bloß eine in Humblebrag.
- OT: The Biggest Little Farm
- Regie: John Chester
- Drehbuch: John Chester, Mark Monroe
- Produktionsland: USA
- Jahr: 2018
- Laufzeit: 91 min.
- Cast: John Chester, Molly Chester, Alan York
- Beitragsbild © Berlinale