Mit ihrem ambivalenten Debütfilm über die verheerenden Auswirkungen ökologischen Raubbaus in Nicaragua ist Lin Sternal nicht die Einzige in der diesjährigen Berlinale Generation, die diskret die Grenzen zwischen Realität und gespieltem Drama verwischt. Nicht nur diese aus erwachsener Perspektive leicht identifizierbare Täuschung des kindlichen Zielpublikums weck Zweifel an ihren hehren Absichten. Letzte sind dankbare Werbung für ein Projekt, das Ausbeutung aus Profitgründen anprangert, jedoch von der Vermarktung dieser Ausbeutung profitiert – nicht nur auf kommerzieller Ebene.
Wichtiger als die Vielzahl drängender Themen, die das als schmerzliche Loslösung von einer idealisierten Ursprünglichkeit inszenierte Geschehen streift, scheint dem Projekt das damit einhergehende Prestige. Kontroverse Positionen der Bevölkerung zum Bau des Grand Canal werden oberflächlich abgehandelt, ebenso sozialwirtschaftliche Differenzen. Nahtlos ineinanderfließenden Aufnahmen, der tadellose Ton, die strukturierte Interaktion der Protagonisten, vor allem jedoch die sich aus dramatischer Sicht perfekt zu einer kindertauglichen Story entwickelnden Ereignisse sind nur einige Auffälligkeiten eines geschickt lancierten Doku-Dramas.
Das vermeidet diffizile Aspekte wie die korrosiven Spätfolgen der Christianisierung oder die Kluft zwischen alter und junger Generation zugunsten einer naiven Perspektive mit Hang zur Sentimentalität. Repräsentiert wird die vom drolligen Haustier der Titelperson. Schweinchen Piglet – benannt nach Winnie The Poohs bestem Freund, weil selbst in den ärmsten Schulen Milne gelesen wird? – muss der junge Perro in der Stadt schließlich verscherbeln, um sich passende Kleidung leisten zu können. Tragisch und alles bestimmt haargenau so gewesen.
Falls es Lin Sternals fragwürdiger Doku gelingen sollte, etwas Aufmerksamkeit auf die Zerstörung und fortbestehende Bedrohung der Dschungel Nicaraguas sowie die desolate Situation der Bevölkerung zu lenken, wäre das eine lobenswerte Seite des Projekts. Das taugt ansonsten eher als Lehrbeispiel dafür, mit welchen Mitteln Film der Zuschauerschaft dokumentarische Faktizität vorspiegeln kann. Was die Regisseurin als Doku vorstellt, verrät sich als mindestens teilinszenierte Form. Wie viel genau davon nachgestellt und was tatsächlich Reportage ist, bleibt vage.
- OT: Perro
- Regie: Lin Sternal
- Drehbuch: Lin Sternal
- Produktionsland: Deutschland
- Jahr: 2019
- Laufzeit: 79 min.
- Beitragsbild © Berlinale