Im Gegensatz zu einer Reihe weit prätentiöserer Beiträge der diesjährigen Berlinale verfügt Mia Meyers zweiter Spielfilm über eine ordentliche Handlung. Doch das unbarmherzige Familiendrama um die 13-jährige Doreen (überzeugend: Dora Zygouri) die mit ihrem am Rande des Ruins balancierenden Vater Rainer (Co-Drehbuchautor Hanno Koffler) und der hochschwangeren Mutter (Hintergrundpräsenz: Anna Blomeier) gegen wirtschaftliche Windmühlen kämpft, ist weniger mit den unaufhaltsamen Ereignissen befasst als mit deren Effekt auf die ohnehin angespannte Psyche der Charaktere.
Von letzten bilden die jugendliche Tochter und ihr Vater ein Vergleichspaar, dessen persönliche Kämpfe in Tragweite und Drastik kontrastieren und dennoch unverkennbar der gleichen Struktur folgen. Der Regisseurin und Drehbuchautorin geht es um die Muster von Schikane und physischer Eskalation, die ihre schwer zu schluckende Sozialstudie als direktes Resultat äußerer Brutalisierung enthüllt. Wer nicht Täter sein will, findet sich unversehens in der Rolle des Opfers wieder. Aus der befreit nur ein Übertreffen der selbst erfahrenen Gewalt.
Auf jene steuern die beiden Hauptfiguren unaufhaltsam zu, obwohl beide in ihrer kleinen Welt hilflos versuchen, wenn nicht das moralische Richtige, dann zumindest nicht das Falsche zu tun. Doch das Gesetz des Stärkeren gilt nicht nur auf dem Bau, wo Rainers Einsatz gegen seinen skrupellosen Vorgesetzten Klose (Robert Stadlober) genauso zum Scheitern verurteilt ist wie Doreens Navigieren einer toxischen neuen Freundschaft. Täglich drängender werdende Geldsorgen sind zugleich zusätzlicher Motor und Metapher des wachsenden psychischen Drucks.
In der Tradition klassischen Arbeiterkinos analysiert Mia Meyers gekonnte Mischung aus Familien- und Sozialdrama die Faktoren, die ganz normale Menschen über den nervlichen Rand treiben. Fähige Darsteller*innen und eine stringente Inszenierung, deren subtilere Momente niemals in Kitsch absinken, machen die materielle Last auf einer gebeutelten Familie. Dabei geht es der Regisseurin weniger um Mitleid als um Verständnis der Umstände eines alltäglichen Überlebenskampfes. Dessen Ausgang ist ebenso kompromisslos wie überzeugend, ohne Raum für sentimentale Ausflüchte.
- OT: Die Saat
- Regie: Mia Meyer
- Drehbuch: Hanno Koffler, Mia Meyer
- Produktionsland: Germany
- Jahr: 2021
- Laufzeit: 100 min.
- Cast: Hanno Koffler, Robert Stadlober, Dora Zygouri, Andreas Döhler, Roland Bonjour, Anna Blomeier, Hussein Eliraqui, Lilith Julie Johna, Ferhat Keskin, Robin Geller
- Kinostart: –
- Beitragsbild © kurhaus production