Die titelgebende Tirade aus einem elisabethanischen Theaterstück, dessen Revision (und damit auch die prominente Passage) William Shakespeare zugeschrieben wird, soll das Publikum auf die epische Tragik und implizit das vermeintliche hohe dramatische Niveau Brandt Andersens Berlinale-Beitrags einstimmen. Stattdessen akzentuiert die Rede aus Sir Thomas More neben der inszenatorischen Anmaßung auch das mehrfache Scheitern seines um die Flüchtlingskrise gestrickten Mehrakters. Der verwechselt Prägnanz mit Pathos und besitzt nicht einen Bruchteil der humanitären Eloquenz der Präambel.
So bestätigen die exemplarischen Episoden mit plakativen Personalien wie „Die Ärztin“und „Der Schmuggler“ tendenziell nicht nur krisenpolitische Klischees, sondern die anti-migrantischen Ressentiments, die sie bekämpfen sollen. Der korrupteste der fünf Charaktere, deren Schicksale eine Fluchterfahrung aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten, ist ausgerechnet Omar Sys Schmuggler, selbst ein in Izmir gestrandeter Geflüchteter. Die syrische Ärztin Amira (Yasmine Al Massri), die mit ihrer jugendlichen Tochter auf einem seiner Boote landet, ist wiederum das irreale Ideal einer Flüchtenden.
Nah dran an einem solchen ist auch „Der Dichter“ Fathi (Ziyad Bakri) mit Frau und drei Kindern, von denen eines über Bord geht. Zum Glück springt von der griechischen Küstenwache „Der Captain“ Stavros (Constantine Markoulak) sofort hinterher, um wie im zerbombten Aleppo „Der Soldat“ Mustafa (Yahya Mahay) sein Leben für das moralisch Richtige zu riskieren. Das bedenkliche Gesamtbild, das die schematischen Puzzleteile ergeben, lässt äußere Faktoren, politische Hintergründe und ethische Ambivalenzen der Situation im Dunkeln.
Shakespeare rotiert im Grab angesichts der generischen Geschichten voll eindimensionaler Figuren, die Brandt Andersens Message-Melodrama in aalglatten Hochglanz-Bildern zu orchestraler Chormusik in den vorgeblich sicheren Hafen Europa reisen lässt. Die Ambitionen der schauspielerisch soliden, doch narrativ überfrachteten Inszenierung gelten nicht Authentizität, sondern Preisen und Publikumserfolg. Die politischen Profiteure des humanitären Desasters bleiben unsichtbar und die menschenverachtende Behandlung flüchtender Menschen seitens der EU, deren potenzielles Publikum sich hier ja gut unterhalten fühlen soll, ersetzt humanistischer Heldenmut.
- OT: The Stranger‘s Case
- Director: Brandt Andersen
- Screenplay: Brandt Andersen
- Country: Jordan
- Year: 2024
- Running Time: 97 min.
- Cast: Omar Sy, Jason Beghe, Angeliki Papoulia, Yasmine Al Massri, Saleh Bakri, Yumna Marwan, Jay Abdo, Ziyad Bakri, Vicky Papadopoulou, Baeyen Hoffman, Yahya Mahayni, Constantine Markoulakis, Ioanna Meli, Ayman Samman, Carlos Chahine, Thanos Tokakis
- Image © Mister Smith Entertainment