„Es gibt immer eine Wahl“, tönt ein ums andere Mal das privilegierte Prinzip Gilles Lellouches konstruiertem Clash von Teenie-Tragödie, Macho-Musical und Kleinstadt-Crime-Saga, deren als kitschige Plakette entflammtes Herz für Rassismus, Sexismus und Klassismus brennt und die Maximen der Meritokratie dazu umformuliert, Unglück wäre alleinige Konsequenz falscher Entscheidungen. Eine solche war die Aufnahme der von erzkonservativen Statuen und Stereotypen getrieben Adaption Neville Thompsons gleichnamigen Romans in Cannes Wettbewerb. Dort ist der recycelte Reigen die zweite Krimi-Oper.
Doch wo Emilia Perez Choreographien lieferte und Originalsongs intonierte, ersäuft der Regisseur und Co-Drehbuchautor seine jungen Liebenden, Arbeiterkind Brutalo Bad Boy Clotaire (Malik Frikah) und idealistische Internats-Ingenue Jackie (Mallory Wanecque) in Trockennebel, damit niemand sieht, dass nicht deren eigentliche Darstellende tanzen, und spielt The Cure und Billy Idol in Dauerschleife auf Kassette. Weil in dem kulissenhaften Hafen-Handlungsort die 80er sind und niemand merken soll, wie losgelöst seine Inszenierung von jugendlicher Gefühlswelt und Lebensart ist.
So leicht zu verstecken sind die gutbürgerlichen Grundsätze hinter dem aufmüpfigen Auftreten allerdings nicht – nicht in einem Werk, dass allen Ernstes resümiert, ein Job bei Quasi-Ikea als Kassiererin oder Packer mit monogamer Ehe sei das ganz große Glück. Da sind die Charaktere besser dran mit einer Kugel im Kopf, wie im Was-wäre-gewesen-wenn-Prolog. Von dort spielt eine epische Rückblende die Ereignisse bis zum Moment der Entscheidung, die auch ein Ex-Sträfling mitten im dörflichen Drogenkrieg immer hat.
Zu besagtem Ex-Knacki wird der zum Handlanger aufgestiegene Choleriker Clotaire (Francois Civil), nachdem ihn sein Boss La Brosse (Benoît Poelvoorde) verrät. Aber die Liebe einer guten Frau bekehrt jeden Mann, er muss sie nur finden. Also stalkt Clotaire Jackie (Adéle Exarchopolous), die eigentlich Jaqueline heißt. Aber in dieser Art Story wissen Männer besser, wer Frauen sind und was sie wollen als die Frauen, die „nein“ sagen, aber „ja“ meinen und sich zieren, damit Jungs insistieren.
Fazit:
Eine falsche Wahl ist auch Gilles Lellouches zur Amour Fou stilisierte Altherren-Arie. Die überwältigt nicht mit rebellischer Romantik, sondern patriarchalischem Popcorn-Pathos und fanatischer Fixierung auf mittelständische Moralin und kleinbürgerliche Konstrukte. Die verklärt ein brachialer Bombast in kuriosem Kontrast zur bourgeoisen Biederkeit der Dogmen von Genügsamkeit und Unterwürfigkeit. Das Retro-Setting dient als stylische Staffage der sich als postmodernes Pendant von West Side Story und Romeo + Juliette wähnenden Schnulze. Einzig glaubhaft darin ist Adéle Exarchopolous zornige Performance.
- OT: L’amour ouf
- Director: Gilles Lellouche
- Screenplay: Gilles Lellouche, Audrey Diwan, Neville Thompson
- Year: 2024
- Distribution | Production © StudioCanal