“I made a career out of getting people to tell me the truth. Now it’s my turn.”, verkündet der prominente Protagonist Paul Scharders persönlichen Porträts in einer vieler Szenen, in denen der Regisseur und Drehbuchautor mehr über sich selbst zu verraten scheint als über seinen Hauptcharakter. Den verkörpert Richard Gere äußerlich als Antithese seines makellosen Aussehens in beider letzten Zusammenarbeit American Gigolo, psychisch als eine Art abstraktes Amalgam Schraders und seines langjährigen Freundes Russell Banks.
Der Anfang 2023 verstorbene Schriftsteller lieferte mit seinem letzten Werk 27 Jahre nach Affliction zum zweiten Mal die Vorlage einer Kino-Adaption Schraders, dessen Filmtitel angeblich der von Banks für sein Buch bevorzugte war. Die Aura von Endlichkeit und Endgültigkeit, die das zwischen einem Doku-Porträt des legendären Filmemachers Leonard Fife (Gere), gefilmt mit futuristischer Technik von seinen ehemaligen Studenten Malcolm (Michael Imperioli) und Diana (Victoria Hill), und eklektischen Episoden aus dessen Jugendjahren (dargestellt von Jacob Elordi) wechselt.
Absichtlich oder nicht unterstreicht die geringe Ähnlichkeit Leonards gegenwärtigen und vergangenen Ichs die subjektive Spaltung der Figur, deren Erzählungen und Erinnerungen gleichermaßen unzuverlässig scheinen. So interessant das komplexe Konstrukt wirkt, so ernüchternd trivial bleibt dessen Einsatz. Die Schriftstellerambitionen und Seitensprünge, die so schwer auf Leonards Gemüt lasten, dienen nicht etwa der Dekonstruktion seines Mythos, sondern dessen indirekter Abrundung als seiner zweiten Frau (unterfordert: Uma Thurman) emotional schlussendlich treuer Partner. Formell versiert, doch psychologisch profan.
Wie das ominöse zur Aufnahme des Films-im-Film eingesetzte Instrument namens Interrotron ist Paul Schraders unebene Komposition aus Retrospektive und Introspektive interessanter ob seiner mimetischen Möglichkeiten als aufgrund seines praktischen Einsatzes. Ansätze autobiografischer Selbstreflektion bringen nur wenig Tiefgang in das fragmentierte Mosaik eines fiktiven Lebens, dessen Relevanz die gediegene Hochglanz-Optik und schwelgerische Musik überhöhen. Bezeichnenderweise sind liminale Elemente wie die allegorische Überlappung von Vergangenheit und Gegenwart die interessantesten Facetten eines ermüdend stumpfen Persönlichkeitsprismas.
- OT: Oh, Canada
- Director: Paul Schrader
- Screenplay: Paul Schrader, Russell Banks
- Year: 2024
- Distribution | Production © ARP Sélection