„Ich habe all euch vom Leid im Gefängnis verwöhnte Frauen satt!“, ruft die Protagonistin Mario Martones abstrusen Biopics in einer Szene. Die beschreibt treffend die Gefühle gegenüber den Figuren des paternalistischen Porträts einer Autorin, die ein Schlusstext kühn als „unter den bedeutendsten Autor*innen des 20. Jahrhunderts“ einordnet. Wer jetzt rätselt, ob der italienische Regisseur und Drehbuchautor das Leben von Virginia Woolf, Toni Morrison oder Ayn Rand auf die Leinwand gebracht hat: Nein, hat er nicht. Zum Glück, muss man sagen, angesichts seines jüngsten Werks.
Das umreißt eine formative Episode im Leben der italienischen Autorin und Schauspielerin Goliarda Sapienza (Valeria Golino). Die Tochter einer gutbetuchten Akademiker-Familie erlangte posthum bescheidenen Ruhm mit ihrem ausufernden Schlüsselwerk „L’arte della gioia“. Dessen moderater Erfolg basierte vor allem auf einigen für die Ära freizügigen Sex-Schilderungen. Zeitgenössische Verlage lehnten das Werk ab. Wie Sapienza resigniert berichtete: „Zu lang, zu konventionell.“. Beide Eigenschaften hat passenderweise auch ihre Film-Biografie. Jene beschränkt sich auf ein vergleichsweise triviales, doch von Sapienza gern – und auf höchst problematisch Art – rezitiertes Erlebnis.
Als sie Anfang der 80er pleite war, beging sie einen amateurhaften Schmuckdiebstahl und kam dafür ins Gefängnis. Dank ihrer gutbürgerlichen Herkunft allerdings nur fünf Tage, die sie in ihrem Schaffen ausgiebig wildromantisch verklärte. „Mit den Frauen von Rebibbia fühle ich eine unglaubliche Freiheit. Wenn wir zusammen sind, ist es, als wären wir noch drinnen, frei.“, schwärmt die Protagonistin nach ihrer Entlassung. Maritone übertrumpft diese bourgeoise Borniertheit mit einer Portion Sexismus, Voyeurismus und Chauvinismus, direkt aus dem Frauenknast-Subgenre. Nur fehlt der trashige Charme und Camp-Faktor der Exploitation-Filme.
Mit sonnigem Hof, Blumengarten und adretten Zellen und kaum Personal in Sicht wirkt die Rebibbia Strafanstalt wie ein Mädchen-Landschulheim. Dazu passt auch die Erscheinung der Insassinnen, die bis auf ein paar ältere Matronen alle jung und attraktiv sind. In Shorts und Bikini-Tops chillen die Girls im Garten, wenn sie nicht füreinander lecker kochen oder miteinander flirten. Die sexuelle Spannung zwischen Sapienza, ihrer weit jüngeren Zellennachbarin Roberta (Matilda de Angelis) und deren Freundin Barbara (Euro-Pop-Star Elodie) ist das Gegenteil von Queerness.
Die Softcore-Szenen zwischen den Frauen sind eine für einen straighten männlichen Blick inszenierte Performance in auffälligem Kontrast zu den mit romantischer Musik untermalten, direkteren straighten Erotik-Szenen. In Beziehungen mit Frauen fehlt ihr immer etwas, erklärt die Hauptfigur: „Mit Männern ist es einfacher.“ Der Knast-Kurztrip gibt Sapienza, die zwischen kindlicher Unbefangenheit und Neurosen pendelt, ihre Inspiration zurück. Sie schreibt eifrig und sucht ständigen Kontakt zu ihren Gefängnis-Gefährtinnen, die praktischerweise zeitnah entlassen werden. So holt man nach, was an klassischen Frauen-Knast-Szenen noch fehlte: „Duschen wir alle zusammen!“
Nach Leopardi und The King of Laughter macht sich Mario Martone erneut an ein Biopic, diesmal der obskuren italienischen Schriftstellerin Goliarda Sapienza. Der Großteil deren bewegten Lebens wird komplett ausgeblendet. Die Protagonistin bleibt eine leere Hülle: fade, kindisch und weltfremd. Diese Reduktion ist paradigmatisch für die Darstellung des überwiegend weiblichen Ensembles. Zänkisch, kokett, wankelmütig und eifersüchtig, sind sie sexistische Soap-Opera-Stereotypen. Die in Werbeoptik gehaltene Inszenierung interessiert sich mehr für deren Körper als ihre Persönlichkeit. Biografische, zeithistorische oder soziale Einsicht fehlen der ereignislosen Handlung ebenso Dramatik und Verve.
- OT: Fuori
- Director: Mario Martone
- Year: 2025