Der Titelsatz, der im ominösen Prolog Jafar Panahis absurd-tragischer Allegorie fällt, scheint ein Verweis auf die bizarren Zufälle, die das zusammengewürfelte Figuren-Quintett im jüngsten Werk des iranischen Regisseurs auf bei ihrem gefährlichen Vorhaben beeinflussen. Doch nichts geschieht einfach von ungefähr in der minimalistischen Story. Jene zeigt ihre allegorische Ebene schon in der nächtlichen Eröffnungsszene, in der ein Familienvater (Ebrahim Azizi) mit seiner hochschwangeren Frau (Afssaneh Najmabadi) und kleinen Tochter auf einer Landstraße einen Hund überfährt.
Das kleine Mädchen ist zutiefst verstört, als ihr Vater das verletzte Tier tötet. Er hätte keine andere Wahl gehabt, erklärt der Vater, und ihre Mutter fügt hinzu: „Sicher hat Gott den Hund aus einem Grund in auf unseren Weg geführt.“ Ihr religiöser Fatalismus erhält eine düstere Doppeldeutigkeit, als die angespannte Story ihren Lauf nimmt. Der Unfall führt die Familie an eine Tankstellen-Werkstatt. Dort arbeitet Vahid (Vahid Mobasseri), der in dem gehandicapten Mann anhand dessen Schritten erkennt.
Überzeugt, seinen früheren Folterknecht aus Haftzeiten wiederzuerkennen, will Vahid den Fremden lebendig begraben. Doch mitten bei der Tat kommen ihm Zweifel, ob er den Richtigen hat. Mit dem mutmaßlichen Täter gefesselt im Auto sucht er vier seiner damaligen Mitgefangenen, um ihn sicher zu identifizieren. Gemeinsam geraten sie auf eine Reise in ethische Finsternis. Die inhaltliche Prämisse Ariel Dorfmans Theaterstück „Death and the Maiden“ kombiniert Panahi mit dem absurden Aberwitz Samuel Becketts, der sogar namentlich referenziert wird.
Über seinen alten Freund Salar (Georges Hashemzadeh) findet er die entschlossene Fotografin Shiva (Maryam Afshari). Sie bringt ihn zu ihrem hitzköpfigen Ex Hamid (Mohamad Ali Elyasmehr) und Braut Goli (Hadis Pakbaten), die sich mit ihrem Verlobten (Majid Panahi) in voller Hochzeitskleidung den Möchtegern-Mördern anschließt. Mit Galgenhumor im wahrsten Sinne begleitet die gewohnt naturalistische Kamera den improvisierten Rache-Trip. Im Konflikt miteinander und dem eigenen Gewissen diskutieren die Figuren Schuld, Sühne und Sinnfragen ihres schier ausweglosen Dilemmas.
Rabenschwarze Running Gags und sarkastische Situationskomik bewahren Jafar Panahis allegorisches Revanche-Road-Movie davor, in reines Thesenkino zu versanden. Mit sparsamen, doch prägnanten individuellen Szenen profiliert der parabolische Plot seine Figuren. Deren Trauma ist zugleich eine verbindende und zutiefst persönliche Erfahrung. Jene macht das schnörkellose Schauspiel beklemmend greifbar. Ihr legitimer Hass verdrängt nie die Fragen nach moralischer Integrität, Konsequenzen und Kollateral-Opfern. Psychologische Spannung und moralische Metaphorik verdichten sich zu einer kraftvollen Message – auch an das iranische Regime.
- OT: Un simple accident
- Director: Jafar Panahi
- Year: 2025