Teil der Brillanz Kelly Reichardts Filme ist, dass deren maximal unprätentiöses und unaufgeregtes Air vergessen lässt, wie hintersinnig und vielschichtig das Gezeigte tatsächlich ist. Ein Musterbeispiel ist das jüngste Werk der Slow Cinema Regisseurin, die drei Jahre nach Showing Up in den Wettbewerb von Cannes zurückkehrt. Angelegt im kleinstädtischen Massachusetts der 70er, ist ihre in dezent ausgebleichtem Vintage-Format gefilmte Krimikomödie eine hintergründige Inversion des Genres und zugleich ein trockenhumoriger Tribut an den cineastischen Zeitgeist der Ära.
Rob Mazureks kongenialer Score schlägt mit treibenden Jazz Percussions einen stilistischen Bogen zu Miles Davis essenziellem Soundtrack zu Ascenseur pour l’échafaud. Der unentrinnbare Fatalismus von Films Noirs wie Malles Klassikers oder Edgar G. Ulmers Detour bestimmt den pessimistischen Plot. Den eröffnet ein klandestiner Museumsdiebstahl, mit dem der opportunistische Titelcharakter (Josh O’Connor) die Logistik seines eigentlichen Vorhabens testet. Seine ahnungslose Gattin Terri (glänzend: Alana Haim) und die zwei Söhne liefern James Mooney dafür die ideale Tarnung.
Der nur scheinbar unterambitionierte Handwerker arrangiert als vermeintlich genialer Strippenzieher den Raub von vier Arthur Dove Gemälden. Die abstrakten Werke des frühen Modernisten als – nach dem provinziellen Setting zu urteilen, wohl einzige – wertvollen Werke mit Handelspotenzial zu erkennen, ist das Cleverste, das James dabei anstellt. Genau genommen, das einzig clevere. Der angeblich präzise geplante Grab-and-Run-Überfall, bei dem James‘ Kumpel Tommy (Jasper Thompson) und den unberechenbaren Klein-Dealer Ronnie (Sterling Thompson) vorschickt, läuft von Anfang an schief.
Trotzdem zieht James sein Vorhaben weiter durch und reitet sich immer tiefer ins Schlamassel. Damit ist er nicht der einzige. Die Proteste gegen den Vietnamkrieg, der im Hintergrund über den Röhrenfernseher flimmert, markiert den desaströsen Überfall als systemkritische Allegorie. Jene wiederum ist Teil eines unangenehm aktuellen machtpolitischen Musters. Als Sohn eines einflussreichen Richters und einer Mutter mit Erbwohlstand fühlt James sich unantastbar. Der Größenwahn und Egoismus hinter seiner harmlosen Fassade ersticken jedes Unrechtsgefühl des pathologischen Lügners.
James‘ Unaufrichtigkeit impliziert schon die Eröffnungsszene im Museum. Nicht nur mit James diebischer Fingerübung, sondern einer Rätselfrage Carls. Der Junge erzählt von drei mit Buchstaben benannten Aliens, von denen eines immer lügt. Ein dezentes Detail assoziiert das Alien mit James, der selbst offensichtlich überführt auf seinen Ausflüchten beharrt. Derlei Verweise machen das grandiose Retro-Szenenbild, das in matten Herbstfarben ruht, zum organischen Teil dieser sarkastischen Parabel von den fatalen Fallstricken des Alltags und der Implosion gutbürgerlicher Hybris.
Wäre es nicht so undenkbar, dass in Cannes zweimal nacheinander eine Regisseurin den Wettbewerb gewinnt, wäre Kelly Reichardts doppelbödiges Heist-Movie der perfekte Kandidat. Famoser Jazz-Soundtrack, lebensnahe Kostüme und Kulissen, eine perfekt auf die 70er-Ästhetik eingestimmte Farbskala und zeitgenössisches Filmformat lassen die Ära zugleich im Film und durch den Film selbst erwachen. Unaufdringliche Darstellungen Alana Haims und Josh O‘Connors krönen das überzeugende Ensemble. Der markante systemkritische Subtext erweitert die Komplexität einer Genre-Hommage, deren Unaufgeregtheit ebenso täuscht wie die des Titelcharakters.
- OT: The Mastermind
- Director: Kelly Reichardt
- Year: 2025