In ihrem formativen Essay über den Prozess Adolf Eichmanns, den Kirill Serebrennikovs abgeschmackten Biopic via Namedropping referenziert, beschrieb Hannah Arendt die Banalität des Bösen. Daraus schließt der russische Regisseur offenbar, dass Filme über jenes Böse ebenso banal sein sollten. Das jedenfalls impliziert sein nichtiger Bilderbogen über die späten Jahre eines der berüchtigtsten Schlächter des Nazi-Regimes. Josef Mengele, von August Diehl als frustrierter Fundamentalisten spielt, bedarf keiner Vorstellung. Dennoch bietet diese ein in der Gegenwart angelegter Prolog. Darin will eine komplette Klasse brasilianischer Medizinstudierender den Auschwitz-Arzt nicht kennen.
Die Szene sagt nichts über schwindendes Bewusstsein für historische Verbrechen und viel über die kurzsichtige Selbstgerechtigkeit des spekulativen Charakterbilds. Eine Kurzerklärung des Professors liefert lediglich die bekanntesten Fakten. Mengeles Obsession mit Zwillingsforschung, seine grausigen Experimente an KZ-Insassen, die er zur Zwangsarbeit, zur Gaskammer oder als Versuchsobjekte einteilte, und dass sein Skelett in São Paulos Universität liegt. Im Anekdotischen versackt auch das Szenario. Dessen drei Akte, benannt nach Mengeles verschiedenen Alias „Gregor“, „Peter“ und „Pedro“, folgen dem stets tadellos zurechtgemachten Mediziner von Argentinien nach Deutschland, Paraguay und Brasilien.
Die wirre Chronologie und szenischen Sprünge zersetzen endgültig jegliche Ansätze Charakterentwicklung. Triviale Dialoge klammern sich an ungelenke Exposition und pathetische Phrasen. Sein erwachsener Sohn Rolf (Max Bretschneider) fragt ihn bei einem inkognito Besuch 1977 in Brasilien, ob die grausigen Anschuldigungen war seien. Die nichts sagende Antwort ist eine Mischung aus ideologischem Vortrag und Pflichtgefühl. Bei Mengeles Heimatbesuch in den 50er wird der Günzburg-Mythos ausgiebig bedient, mit Blumenbeet mit Hakenkreuz-Bepflanzung und Nazi-Fähnchen auf der Torte zur Hochzeit mit seiner zweiten Frau Martha (Friederike Becht).
Die Großunternehmer-Sippe versichert ihm mit allerlei namentlichen Beispielen, dass die Altnazis in der BRD überall sitzen. Als ob das etwas Neues wäre. Doch Mengele spürt, dass die Luft für ihn dünner wird. Während seine gesundheitliche und finanzielle Situation sich kontinuierlich verschlechtert, steigt das Fahndungsgeld. Was ihn antrieb, interessiert in dem Travelogue des Todesengels nicht. Stylische Schwarz-Weiß-Optik kokettiert mit dem Mythos vom dämonischen Doktor, der als alter, einsamer Mann mit Impotenz ringt. Das Böse ist da nicht nur banal, sondern bieder, beschaulich und beneidenswert.
Nach Petrov’a Flu, Tschaikovsky’s Wife und Limonov: The Ballad hofiert das Film-Festival von Cannes auch die jüngste Kopfgeburt Kirill Serebrennikovs. Seine spekulative Stilisierung des sadistischen Nazi-Mediziners strebt nicht nach psychologischen Einblicken oder systemischer Analyse, sondern der Befriedigung morbider Neugier. Jene kulminiert in einer pietätlosen Farb-Sequenz, die in seinen eugenischen Gräuel schwelgt. Diese sensationalistische Schaulust begleitet ein scheinheiliger Belehrungsgestus, der angesichts des Mangels jeglicher Gegenwartsbezüge und ideologischer Einsicht umso verlogener wirkt. Diehls formelhaftes Schauspiel kann der kalkulierten Ikonographie faschistischen Fanatismus ebenso wenig Tiefe verleihen wie der kunsthandwerkliche Stilistik.
- OT: Das Verschwinden des Josef Mengele
- Director: Kirill Serebrennikov
- Year: 2025