Dreh- und Angelpunkt war der Versuch, den Mechanismen der Radikalisierung auf den Grund zu gehen, sagt Benjamin Pfohl über sein symbolreiches Spielfilm-Debüt, das mit Vorstellungen – meist sogar im Wettbewerb – auf über einem Dutzend internationaler Festivals und zahlreichen Preisen fast ebenso viele Referenzen einsammelte wie sein gleichnamiger Kurzfilm. Der dient als Grundlage der gemeinsam mit Co-Drehbuchautorin Silvia Wolkan auf fast zwei Stunden ausgearbeiteten Story. Jene verknüpft Sozialdrama, Sekten-Krimi und Science-Fiction-Fabel zu einer Art kosmischem Coming-of-Age.
Wie viele der dramaturgischen Elemente ereignet sich dieses für unterschiedliche Figuren auf verschiedene Weise. Für die 14-jährige Lea (Mariella Aumann) sind es die stereotypen Schwellenerlebnisse, die sich ältere Männer bei jungen Mädchen vorstellen: erster Crush, erster Kuss, physische Entwicklungszeichen. Wenn eine Gleichaltrige letzte mit „Calypso“ in Verbindung bringt, verweist das auf die ganz andere „Erweckung“ ihrer Eltern (Laura Tonke, Andreas Döhler). Die träumen mit offenen Augen von einem besseren Leben – auf dem Titelplaneten.
Der kollektive Blick durch VR-Brillen versinnbildlicht die buchstäblich realitätsferne Fixierung auf eine Phantasiewelt, die Sekten-Führer Wolf (Ulrich Matthes suggestive Stimme) ihnen verspricht. Doch gerade wie solch aberwitziger, jedoch hochgefährliche Überzeugungen entstehen und indoktriniert werden, bleibt auf eine sozialbiografische Klischee-Collage beschränkt. Das kognitive Handicap Leas kleinen Bruders und ihrer Eltern damit einhergehende materielle und psychische Überforderung gilt als alleinige Ursache. Das erscheint ebenso reduktiv wie apologetisch und macht die emanzipatorische Entscheidung der jungen Protagonistin noch unglaubwürdiger.
Sphärische Bilder des Jupiter und märchenhafte Naturaufnahmen stehen in effektvollem Kontrast zum audio-visuell aggressiven Alltag der jugendlichen Hauptfigur. Dass die Aura von Ruhe und Geborgenheit sich als fatale Illusion enthüllt, ist eine rare Unterwanderung soziologischer Stereotypen. Mit denen füllt der unentschlossene Genre-Mix die logischen und psychologischen Leerstellen, die sich in dramaturgischer Stagnation immer wieder auftun. Hochkarätige Darstellungen des Kernensembles und stimmungsvolle Bilder bedingen den äußerlichen Reiz der Inszenierung, die der unterentwickelten Handlung unterliegt.
- OT: Jupiter
- Director: Benjamin Pfohl
- Screenplay: Benjamin Pfohl, Silvia Wolkan
- Year: 2024
- Distribution | Production © missingFilms