Der inszenatorische Kontrast von harschem Realismus und populistischem Pathos, mit dem bereits Lady Lys oscarnominiertes Spielfilm-Debüt kämpfte, zeigt sich auch in dessen sozialpolitischem Semi-Sequel. Obwohl dessen Story und Figuren nicht in unmittelbarer Verbindung zu Les Misèrables stehen, stellen die gemeinsamen Themen, Struktur und Position das aufwühlende Sozialdrama so deutlich dazu in Bezug wie der symbolträchtige Schauplatz. Jener lieferte den ursprünglichen Titel der bitteren Chronik von Marginalisierung, die den Existenzverlust der Betroffenen nicht nur billigt, sondern beabsichtigt.
Bâtiment 5, so der Originaltitel, ist ein überwiegend von südafrikanischen migrantischen Menschen Sozialbau, ein Abriss-Projekt des neuen Interim-Bürgermeisters Pierre (Alexis Manenti). Seine durch hastige Hinterzimmer-Verhandlungen lancierte Wahl illustriert exemplarisch das Netzwerk aus Lobbyismus und Korruption, gegen das die Bewohnenden vergebens ankämpfen. Selbst die engagierte Haby (Anta Diaw), die als Vorsitzende des Sozialbaus selbst darin mit ihren Kindern lebt, kann mit Protestaktionen und Einsprüchen nichts ausrichten. Das systematisch vernachlässigte Gebäude wird kurzerhand wegen Einsturzgefahr zwangsgeräumt.
Die Szene, in der verzweifelte Mieter*innen ihren wenigen Besitz aus den Fenstern abseilen und Polizeieinheiten buchstäblich über die Leben der Menschen trampeln, entschädigen für die kantige Handlung und eine bisweilen allzu plakative Inszenierung. Zumal der Regisseur und sein Co-Drehbuchautor Giordano Gederlini auch anders können. Das beweist das desillusionierte Finale, in dem Pierres Vize und Handlanger Roger (Steve Tientcheu) vor syrischen Geflüchteten Weihnachtsmann spielt: Wohltätigkeit als selektive Show, die selbst die Beschenkten zugleich instrumentalisiert und herabsetzt.
Auch wenn Lady Ly die Glaubhaftigkeit seines paradigmatischen Plots bisweilen dessen systemkritischen Subtext unterordnet, behalten die gesellschaftlichen Umstände, die sich darin abbilden, ihre bedrückende Wahrhaftigkeit. Dramatisch kondensiert zeigt sein zorniges Sozialdrama den unverhohlenen Hass einer überwiegend weißen Mittelschicht gegen Unterschicht und migrantische Arbeiterklasse. Beide werden gleichgesetzt mit den desolaten Zuständen, in die inhumane Institutionen sie zwingen. Intuitives Schauspiel, authentische Milieubilder und der gezielte Fokus auf die staatlichen Mechanismen, die Menschen zur Eskalation treiben, überwinden dramaturgische Unebenheiten.
- OT: Les Indésirables
- Director: Lady Ly
- Screenplay: Giordano Gederlini, Ladj Ly
- Year: 2023
- Distribution | Production © Film Kino Text