Stand your ground. Die Worte klingen wie eine Aufforderung, sich zu behaupten. Nicht nur in einer der lebensbedrohlichen Situationen, sondern auch in einem Streit. Einem Streit wie er in der Nachbarschaft aufkommen kann, wenn Kinder laut spielen oder Anwohnende wegen Kleinigkeiten ausrasten. So wie Susan Lorincz. Seit längerem war sie erzürnt über die Nachbarskinder in ihrem Wohnviertel in Ocala, Florida. Fangen spielen oder ein Ball, der vor ihr Haus rollte: Die 58-Jährige hatte die Nase voll davon und von der 35-jährigen Ajike “AJ” Shantrell Owens, die ihre Kinder gegen wüste Beschimpfungen und rassistische Beleidigungen in Schutz nahm.
Susan Lorincz stood her ground. Ajike Owens hat es nicht überlebt. Den fatalen Vorfall des 2. Juni 2023 rekonstruiert Geeta Gandbhirs fesselnder Dokumentarfilm mit der kriminalistischen Präzision eines Thrillers. Handy-Videos, Überwachungskameras und Polizei Body-Cam dokumentieren das Geschehen, angefangen mit Lorincz erstem Polizei-Anruf. Ihm sollten Dutzende folgen. Nach ihren eigenen Darstellungen hatte sie ständig Todesangst. Der korpulenten Seniorin, die Grundschulkinder mit Gegenständen bewirft oder einem Regenschirm verfolgt, sieht man davon nichts an. Die übrigen Anwohnenden stören sich an etwas Kinderlachen nicht, und verhalten sich, nun, nachbarschaftlich. Nur Lorincz ist ständig auf 180.
Das Schrillen des Polizeinotrufs wird zum Marker der stetig steigenden Anspannung. Auch die Beamten wirken genervt von der „Karen“, wie Lorincz in der Nachbarschaft genannt wird. Immerhin, kommentiert ein Polizist, dealen die Kids nicht mit Drogen. Sie verhalten sich wie Kinder. Sogar gut erzogene, die höflicher und umsichtiger sind als Lorincz. Sie stellt Schilder mit der Aufschrift „Privatgrundstück“ auf, obwohl alle Häuser Mietwohnungen sind. Sie sieht sich im Recht und als Besitzerin des Viertels, in dem sie die Nachbarn als Eindringlinge wahrnimmt. Lorincz ist weiß, Owens und ihre Familie sind Schwarz.
Kaum vorstellbar, dass die Ereignisse ihren fatalen Lauf genommen hätten, wäre es andersherum gewesen. Im Wissen darum zielt die präzise Inszenierung nicht auf Spannung, sondern bezeugt die rassistischen Ressentiments und aggressive Paranoia in einem Land, dessen Gesetze vorsätzliche Tötungen als „Selbstverteidigung“ legitimieren. Nachdem Lorincz auf Owens 10-jährigen Sohn losgeht, klopft diese an Lorincz‘ Haustür, um sie zur Rede zu stellen. Lorincz schießt durch die Tür – mit tödlichen Konsequenzen. Später wird sie behaupten, Owens, eine unbescholtene vierfache Mutter, hätte sie aus schierem Hass umbringen wollen. Tatsächlich wahr es wohl andersherum.
Die Anfänge des Nachbarschaftsstreits, den Geeta Gandbhir innovative Reality-Doku auf nervenaufreibende anderthalb Stunden kondensiert, wirken fast absurd komisch. Um so erschütternder ist die brutale Wendung, die exemplarisch die Eskalation trügerisch trivialer Situationen vorführt. Waffenbesitz, ein Rechtssystem, das Menschen abhängig von ihrer Hautfarbe richtet, sind ebenso essenzielle Themen wie Alltagsdiskriminierung. Ajike Owens Mord – denn das war er, auch wenn das Gericht nur um Totschlag befand – ist kein Einzelfall. So ist der Schlussakt, der die Unmittelbarkeit des Found Footage zurücklässt, auch als Appell zum Kampf für Bürgerrechte und gegen Legislativen, die sie untergraben sollen.
- OT: The Perfect Neighbor
- Director: Geeta Gandbhir
- Screenplay: Geeta Gandbhir
- Year: 2025
- Distribution | Production © Message Epics