Es ist fast tragikomischen, dass Michael Lockshins opulente Adaption Mikhail Bulgakovs gleichnamigen Klassikers dank aggressiver Anschuldigungen seitens nationalistischer Kräfte und sogar der Duma wie ein Meisterstück liberaler Rebellion gehandelt wird. Die Kritik Bulgakovs zweiteiligen Epos an stalinistischer Kunstzensur, die der Regisseur und sein Co-Drehbuchautor Roman Kantor auf Russlands gegenwärtige Filmfabrik anwenden, lanciert ebenso repressiv-reaktionäre Kräfte. Jene gären bereits in der Buchvorlage. Deren sexistische Scheinheiligkeit und konsumfeindlichen Klerikalismus stilisiert die kongeniale Kinofassung zu einer abergläubischen Altherren-Phantasie.
Deren Titelfiguren transportieren bereits durch ihre Namen den selbstverliebten Chauvinismus der ausschweifenden Handlung. Die erzählt in pompösen Art-Deco-Kulissen und edlen 30er-Jahre-Kostümen von der Liebes eines genialen Mannes zu einer schönen Frau. Margarita (Yulia Snigiras) hat genau diese zwei Eigenschaften: sie ist schön und vergöttert einen Bulgakov nachempfundenen Schriftsteller (Yevgeny Tsyganov). Der gefeierter Bühnenautor, den sie ob seiner Brillanz ehrerbietig Meister nennt, gerät wegen seines neusten Stücks über Pontius Pilatus (Claes Bang) ins Visier der stalinistischen Zensurbehörde.
Die Handlungsrealität des Theaterstücks, in dessen Schlüsselszene Pontius Pilatus Jesus verurteilt, wechselt mit der Gegenwartsebene, in der Meister in einer Irrenanstalt sitzt. Die wiederum unterbrechen Rückblenden zu den Ereignissen, die dorthin führten. Erzürnt über den religiösen Subtext seines Stücks ruinierten mächtige Kritiker und Staatsdiener Meisters Karriere und trieben ihn zum Wahnsinn. Doch er hat einen mephistophelischen Helfer direkt aus der Hölle: Voland (August Diehl) und seine Entourage weisen ebenfalls in Moskau und unterbreiten Margarita einen teuflischen Pakt.
Der düstere Reigen aus Art-Deco-Dekadenz und sowjetischem Monumentalismus hat zwar ästhetischen Reiz, doch das ersticken die synthetischen CGI-Animationen frühzeitig. Die plakative Kritik am sozialistischen Staat gilt weniger Repression und Dogmatismus als Korruption und Konsumgier. Hinter der subversiven Künstler-Maske, die Lockshin dem Bulgakov-Alter-Ego aufsetzt, steckt klerikaler Konservativismus. Letztem entspringt auch das vorgestrige Frauenbild. Margarita ist buchstäblich ein wandelnder Männer-Lusttraum, ihre halbe Handlungszeit über nackt, motiviert und definiert durch ihre Liebe zum Meister. Hochglanz und Hochkultur sind hier gleichermaßen fadenscheinig.
August Diehl als Leibhaftiger, begleitet vom sprechenden Kater Behemoth ist zu vergnüglich, um Michael Lockshins magisch-realistische Männer-Phantasie ganz zu verdammen. Der Camp-Charme ist indes mehr unfreiwillig in dem von altväterlicher Lüsternheit und moralisierendem Narzissmus geprägten Szenario. Dessen melodramatischer Plot ist solide gespielt, doch so unnötig verschachtelt wie die literarische Vorlage. Trotz Überlänge ist deren Filmfassung weder zeitgemäße Modernisierung noch kritische Reflexion. Die in das schwülstige Opus hineininterpretierte Obrigkeitskritik entpuppt sich als christlicher Obskurantismus.
- OT: Мастер и Маргарита
- Director: Michael Lockshin
- Screenplay: Michael Lockshin, Roman Kantor, Mikhail Bulgakov
- Year: 2024
- Distribution | Production © capelight pictures