Das Drehbuch des Lebens habe er gelesen, tönt Silvio Berlusconi (Toni Servillo) in einem bizarren Moment der Selbstdemaskierung – nicht des Protagonisten, sondern des Regisseurs. Sein evasiv betitelter Politporno, zusammengeschnitten in der seichten Penetranz elitärer Modemagazine, bevölkert von Charakteren so tiefgründig wie die der parodistisch zitierten TV-Gerichtsshows, untermauert von theatralischer Stilisierung und religiösen Holzhammer-Metaphern, demontiert Paolo Sorrentino keinen Politfunktionär, sondern sich selbst. Abgenutzte Manierismen sind nurmehr brüchige Fassade vor verlogenem Moralismus, vulgärem Voyeurismus, seniler Sexualisierung und pathetischer Anbiederung an faschistoide Ideologie.
Statt korrupte Strukturen und mafiöse Verwicklungen des italienischen Politapparats auszuleuchten, kaschiert, idealisiert und relativiert das von ätzendem Sexismus befeuerte Sensationsstück, bis ein selbstherrlicher Staatskrimineller als von unberechenbarer Naturgewalt gestürzter Heiliger dasteht. Als Persönlichkeitsporträt ist der fragmentierte Bilderbogen dabei so fadenscheinig wie als Systemkritik. Tadel an bestehenden Zuständen wird nicht geübt und selbst die Hauptrolle ist vorrangig funktional. Servillos großspurig verkörperte Kaspertheaterversion Berlusconis rechtfertigt lediglich die ermüdende Aneinanderreihung mit Pop-Soundtrack untermalter Werbeclips. Gibt es überhaupt mal Dialoge, kreisen die um Sex.
Um den geht es eigentlich und er findet stets zwischen schmierigen alten Knackern und jungen Schönheiten statt. Die rudimentäre Story ist im doppelten Sinne eine endlose Nummern-Revue in Soft-Porno-Ästhetik, bevölkert von mächtigen Männern und frivolen Frauen. Zu ersten wahrt die Inszenierung stets respektvoll Distanz, zweite definiert sie als würdelose Wegwerfobjekte, deren Dauererniedrigung das Kinopublikum aufgeilen soll. Warum stehen Modelmädchen auf dreimal so alte Ekeltypen? Bei Sorrentino hat das nichts mit materieller Abhängigkeit zu tun, sondern mit einem obskuren unwiderstehlichen Altheeren-Charme.
Nicht nur übergeht die heuchlerische Kolportage Bigotterie und Korrumpierung in den Kreisen der Macht, sie zelebriert Ausbeutung, Doppelmoral und neo-liberalen Lobbyismus. Die angekündigte biografische Auseinandersetzung ersetzt ein selbstverliebter Klamauk-Mix aus Telenovela, Männer-Machtspielchen und Fleischbeschau, dessen obszöne Protzerei an Musikvideos pseudo-cooler Möchtegern-Rapper erinnert: Koks, Geld, nackte Bräute. Die dauertanzenden Models, die Kuppler Sergio (Riccardo Scamarcio) auftreibt, sind verrückt nach oder gar verliebt in Berlusconi, der einfach „Frauen gern mag“. Das ist keine Satire, sondern Verharmlosung und Verniedlichung eines kriminellen Rechtsnationalisten.
Die internationale Kinofassung verkürzt Paolo Sorrentinos Zweiteiler auf eine 145-Minuten-Skizze. Bedauerlich, denn ein Bruchteil der Laufzeit genügt e für die raren dramatisch relevanten Szenen, in denen der Name Forza Italia nie fällt. Verbrechen und Verwerflichkeit des Hauptcharakters verharmlost und negiert die chauvinistische Macht- und Sexphantasie über einen dynamischen Charmeur und findigen Mann der Tat (doch, doch, gemeint ist Berlusconi), der das Pech hatte, dass zu viele dauerwillige Showgirls heiß auf ihn waren. Den Rest der Laufzeit gibt‘s Porno-Party zu Popmusik.
- OT: Loro
- Regie: Paolo Sorrentino
- Drehbuch: Umberto Contarello, Paolo Sorrentino
- Produktionsland: Italien, Frankreich
- Jahr: 2018
- Laufzeit: 145 min.
- Cast: Riccardo Scamarcio, Toni Servillo, Chiara Iezzi, Fabrizio Bentivoglio, Elena Sofia Ricci, Roberto Herlitzka, Ricky Memphis, Roberto De Francesco, Dario Cantarelli, Alessia Fabiani, Giulia Alberti
- Kinostart: 15.11.2018
- Beitragsbild © DCM Filmdistribution