Wer Cormac McCarthys „The Road“ und John Hillcoats Verfilmung kennt und dachte „Kann ich selber noch viel besser!“, hat Pech gehabt. Tim Fehlbaum hat‘s schon versucht. Für sein Kinodebüt kopiert der Regisseur und Drehbuchautor komplette Szenen und Handlungsstränge aus The Road, und unterfüttert sie mit einer (noch) plakativeren Religionsbotschaft. McCarthys Buch und dessen Adaption sind ja quasi unbekannt, da merkt den Ideen-Klau garantiert keiner! Einen eigenen Einfall hatte Fehlbaum aber doch, nämlich die Religionsbotschaft ein paar Lagen dicker aufzutragen. Der letzte Griff in der ersten Szene geht zum Kreuz, das ständig bedeutungsschwer ins Bild baumelt. Symbol für ein höheres Ziel in den Bergen, wo es Wasser geben soll.
Von Sonnenstürmen schreibt die letzte Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung. Die findet Marie (Hannah Herzsprung) in einer verlassenen Tankstelle findet, wo sie mit Schwester Leonie (Lisa Vicari) und Freund Phillip (Lars Eidinger) nach Vorräten sucht. In der nach zu viel Photoshop-Filter aussehenden Szenerie findet sie bloß Mr. Tom, den Erdnussriegel und einen gleichnamigen Mechaniker (Stipe Erceg). Beide findet Marie zum Anbeißen und ist damit nicht allein. Um die nächste Straßenbiegung lauert schon eine hungrige Kannibalen-Sippe. Fehlbaums Endzeit-Thriller überbetont, dass der Zusammenbruch der Zivilisation mit dem Verlust einer idealisierten konservativen Moral einherging. Aus dem titelgebenden Inferno führen Glaube, Liebe, Hoffnung – repräsentiert durch Deutsch-Pop, reaktionäre Familienwerte und Vertrauen in Werbeversprechen.
Zum Ausgangsszenario besitzt der als allegorische Filmtitel, der eine moralfreie Gesellschaft umschreibt, nur peripheren Bezug. Das dramaturgische Potenzial der ökologischen Dystopie ignoriert Hell zugunsten eines Neuaufgusses des Redneck-Kannibalen-Motivs und eines archaisches Ideal der natürlichen Auslese. Schwache Männer wie Phillip gehen drauf, potente Beschützer wie Tom obsiegen. Dass sich eine befürchtete Schwangerschaft Maries von Phillip als Irrtum herausstellt, gleicht in der christlich-religiösen Parabel nahezu göttlicher Vorsehung: Der Herr will nur die Starken und Bibeltreuen auf seiner Sonnenbank. Bei so viel Hirnverbranntheit retten die durch Roland Emmerich gesicherten Produktionswerte nichts. Der Titel wird zur bitteren Ironie. Der Kinobesuch ist echt die Hölle.
- OT: Hell
- Regie: Tim Fehlbaum
- Drehbuch: Tim Fehlbaum, Oliver Kahl, Thomas Wöbke
- Produktionsland: Deutschland, Schweiz
- Jahr: 2011
- Laufzeit: 89 min.
- Cast: Hannah Herzsprung, Lars Eidinger, Lisa Vicari, Stipe Erceg, Angela Winkler, Christoph Gaugler
- Kinostart: 22.09.2011
- Beitragsbild © Paramount