„That’s Entertainment“, singt Todd Phillips psychopathisches Protagonisten-Paar während es im Spotlight von Suchscheinwerfern und vor einem desorganisierten Mob brutalisierter Background-Tänzer durch das betont kullissenhaftes Studio-Setting des Arkham Asylums tanzt. Und das ist die langerwartete Fortsetzung der nihilistischen Comic-Adaption, die am gleichen Vorführort der Filmfestspiele von Venedig vor sechs Jahren den Goldenen Löwen gewann. Obwohl die Auszeichnung eines Sequels, dessen erster Teil bereits den selben Preis gewann, ein Novum darstellen würde, scheint ein solcher Triumph greifbar.
Mit Blick auf die sich radikal kinematischen Konventionen widersetzende Story und Stilistik wäre ein solcher Traditionsbruch sogar passend zu der megalomanischen Moritat, die ihr Genre so ingeniöse invertiert wie seinerzeit Joker. Dessen in seiner Ikonographie fast kanonisierendes Ende lässt Folie à Deux hinter sich und transportiert den abgründigen Anti-Helden nach Arkham, einen der düstersten Orte seiner Laufbahn, seines gebrochenen Geistes und seines fiktiven Kosmos. Jener scheint deine nahezu nachrangige Inspiration neben Warner Bros. Looney Tunes.
Ein deren anarchische Aggression heraufbeschwörender Cartoon wird zum ersten der in das subversive Szenario gestreuten Verweise auf das durch eine manipulative Medien-Meute angestachelte Bedürfnis der Öffentlichkeit nach sadistischem Spektakel. Zu einem solchen wird der Gerichtsprozesse Arthur Flecks (erneut packend: Joaquin Phoenix), den die Popularität seines titelgebenden Alter Egos nicht vor der gewohnheitsmäßigen Gewalt innerhalb der infernalischen Irrenanstalt schützt. Einziger Lichtblick in dieser beklemmend realistisch abgebildeten Hölle ist die Liebe seines soziopathischen Superfans Lee alias Herleen Quinzel.
In einer Phoenix hypnotische Darstellung ebenbürtigen Interpretation schenkt Lady Gaga der ähnlich des Jokers zu Tode variierten und ernüchternd moralisierten (bis zum Punkt, an dem sie in Birds of Prey als eine bunte Babysitterin hüpft) Schöpfung der Batman Animated Series eine Wiedergeburt als dominanter Part beider pathologischer Passion. Die kulminiert in einem Kanon grandioser Gesangnummern. Darin verschmilzt Hildur Guðnadóttirs kongenialer Soundtrack symbiotisch mit betont schmalzigen Songs wie Jackie DeShannons What The World Needs now is Love.
Der aus dem Cartoon-Szenario hervorstechende Fotorealismus der Poster zu Werken wie Pal Joey und Sweet Charity ist eine Umkehr des grellen Gegensatzes zwischen der Handlungsrealität wenige Jahre nach den Ereignissen des ersten Teils in den schäbigen Settings eines gespenstischen Gothams und dem romantischen Eskapismus der referenzierten Kinoklassiker. Deren Songs erstehen begleitet von charismatische Choreografien als Cover auf. Ausgeklügelte Anspielungen liefert der parabolische Prolog zudem in einem bizarr brutalen Konkurrenzkampf seines Joker-Charakters mit dessen Schatten.
Ohne sein von Medien und Massen gehyptes Alter Ego ist Fleck nur ein trauriger Clown, der Witze nur widerwillig erzählt und wie ganz Gotham seinem Prozess entgegensieht. Das Gericht, bei der Staatsanwalt Harvey Dent (Harry Lawtey) als Repräsentant einer neo-liberalen Justiz der Institution ein nicht minder zwiespältiges Gesicht gibt, ist eine weitere Bühne eines sadistischen Sensationalismus. In den binden sich Regisseur und Co-Autor Scott Silver bewusst ein, wenn sie die sentimentalen Songs der im Joker-Cartoon präsentierten Musicals covern.
Noch vielschichtiger in ihren gesellschaftskritischen und psychologischen Anspielungen sind die legendären Musical-Hits von Singin‘ in the Rain bis zu The Band Wagon. Dessen Hauptsong wird musikalisches und soziologisches Thema der innovativen Inszenierung. Die erhebt die genretypische Überwindung filmischer Realität und das Durchbrechen der Vierten Wand zur Analogie Flecks fragmentierter Psyche, deren humane Facetten seine Feinde und Fans gleichermaßen ablehnen. Jenes Verlangen nach medialen Monstern und Märtyrern befriedigt letztlich auch Phillips schillerndes Singspiel. That‘s Entertainment!
Der kakophone Kontrast der düster-dreckigen Welt, in der Todd Phillips rasant zum Kult-Charakter aufgestiegener Protagonist buchstäblich und figürlich gefangen ist, mit der zwanghaft fröhlichen Buntheit des Musicals spiegelt sowohl die seelische Spaltung des Antihelden als auch die zynische Zäsur innerhalb einer Gesellschaft, deren drakonische Rechtsauffassung im Widerspruch zum fanatischen Bedürfnis nach unmenschlicher Unterhaltung steht. Beschwingt von Hildur Guðnadóttirs oscarwürdigem Score singen sich die toxischen Titel- und Tanzpartner durch die halluzinogene Hölle einer packend psychopathischen Parodie.
- OT: Joker: Folie à Deux
- Director: Todd Phillips
- Screenplay: Scott Silver, Todd Phillips
- Year: 2024
- Distribution | Production © Warner Bros.