„Nach dem Ende des Kalten Krieges kamen die Weltmächte zu der Übereinstimmung, dass der Planet mit weniger Nuklearwaffen besser dran sei.“, verkündet der sarkastische Eröffnungstext Kathryn Bigelows militaristischen Menetekels. Das tituliert diesen vermeintlichen ideologischen Idealismus als Vergangenheit. Der Text setzt fort: „Aber diese Ära ist vorüber.“ Oder sie sollte es zumindest sein nach Meinung der Regisseurin, die ihre handwerkliche Expertise und ihr fachliches Renommee in den Dienst dieser Botschaft stellt. Gemeinsam mit Drehbuchautor Noah Oppenheim konstruiert sie ein technische brillantes populistisches Pamphlet und Glanzstück cineastischer Propaganda.
Deren plakative Demagogie ist indes weit entfernt von dem hypothetischen Horror-Szenario der kalkuliert kondensierten Handlung. Jene entfaltete sich aus einer Vielzahl von Schlüsselperspektiven an den Angelpunkten der militärischer, außenpolitischer und staatlicher Entscheidungsfunktion in den 20 Minuten vor Einschlag einer Nuklearrakete unbekannter Herkunft in einer US-amerikanischen Großstadt. Dass die USA, die als einzige Nation Nuklearwaffen militärisch eingesetzt haben, hier die Zielscheibe sind, konterkariert die vorgebliche Abrüstungsbotschaft ebenso wie die straffe Struktur und ausgefeilte Konzeption. Jeder könnte der Angreifer sein, und im Ernstfall bleibt keine Zeit für Präventivmaßnahmen.
Deren Horror relativiert die kühle Szenerie ebenso taktisch klug wie die Folter in Zero Dark Thirty oder die Irak-Invasion in The Hurt Locker, mit denen A House of Dynamite laut Bigelow eine thematische Trilogie formt, durch sentimentale Verklärung der Figuren. Der junge Major Daniel Gonzalez (Anthony Ramos) sorgt sich um seine Mutter, Captain Olivia Walker (Rebecca Ferguson) um ihren kleinen Sohn. General Anthony Brady (Tracy Letts) denkt zuerst noch an Baseball, während der verwitwete Verteidigungssekretär Baker (Jared Harris) mit der Entfremdung zu seiner Tochter (Kaitlyn Dever) hadert.
Der Nationale Sicherheitsberater Jake Baerington (Gabriel Basso) hat eine schwangere Ehefrau im Pentagon und Idris Elbas Obama-liker Präsident ist volksnah und verantwortungsbewusst. Schauspielerisch ist der Ensemble-Cast ausnahmslos exzellent und verleiht jedem der Charaktere ein prägnantes Profil. Die humanitäre Katastrophe ist hinter der nervenaufreibenden Suspense stets greifbar. Nicht nur schafft der menschliche Faktor emotionale Verbindung, er legitimiert ethisch Präventiv-Attacken der USA und deren Kontrollanspruch gegenüber zivilen internationalen Atomprogrammen wie dem des Iran. Es sind „die“ oder „wir“ suggeriert droht die geopolitische Grauens-Vision.
Damit artikuliert die Regisseurin die Ängste einer privilegieren weißen Mittelschicht rechts-konservativer Rationalisten. Jenes politisch und sozialstrukturell enorm einflussreiche Segment begrüßt Invasionskriege, Folter und atomare Präventivschläge vielleicht nicht, aber setzt instinktiv ihre sozialen Vorrechte mit den weltpolitischen Militäroperationen ihres patriotisch verklärten Heimatlandes gleich. Beide rechtfertigt ein nationalistisches Notwendigkeitsargument Bigelows, die Staatsgewalt niemals als korrupt, lobbyistisch und kolonialistisch abbildet, sondern als human, gewissenhaft und unbeirrbar professionell. Massen-Kompatibilität und kreatives Können schaffen ein ideologisches Instrument, das die defensive Dialektik der extremen Rechten hochwirksam mit pseudo-pazifistischer Paranoia verstrickt.
Ein konstant angespannte Atmosphäre, eine unterkühlt konzentrierte Kameraführung und eine nüchtern-realistische Chronik des verteidigungspolitischen Prozedere machen Kathryn Bigelows Wettewerbs-Beitrag zum Film Festival von Venedig zum formal eindrucksvollen Politthriller. Der imaginiert ein apokalyptisches Bedrohungsszenario nicht durch die üblichen Bilder nationaler Panik und Ausnahmezustands, sondern als fatale Rationalisierung in den Räumen der Macht. Deren Trägerinnen verkörpert der bis in die Nebenrollen fabelhaft besetzte Cast sowohl psychologisch nuanciert als auch menschlich nahbar. Doch alle handwerkliche Qualität steht in Dienste einer perfiden Propaganda militärischer Aufrüstung, Präventiv-Schläge und totalitären Kontrollanspruchs.
- OT: A House of Dynamite
- Director: Kathryn Bigelow
- Year: 2025