Perspektivisch fragmentierte Erinnerung und die tiefen Narben der Kolonialunterdrückung seiner kongolesischen Heimat prägen das vielschichtige Werk des Photographen und Konzeptkünstlers Sammy Baloji. Sein filmisches Essay erweitert und ergänzt diesen kreativen Fokus auf eine Landesgeschichte, in der die Vergangenheit unablässig in die Gegenwart durchsickert. Den dokumentarischen Dreiakter eröffnen erhabene Bilder des Kongo-Urwalds. Dessen üppige Vegetation, die einer der größten Kohlendioxid-Filter des Planeten ist, spricht selbst gegen Ende der revisionistischen Reise. Deren Anfangspunkt ist das Koyeba Yangambi Biosphere Forschungszentrum.
Eine der einst größten Wissenschaftsstationen für tropische Agrikultur ist nun dem Verfall überlassen. Doch in der Umgebung und den verlassenen Räumen hallen noch Echos der kolonialzeitlichen Ära. Drei Stimmen begleiten als geisterhafte Erzählende die elegischen Szenen und bilden einen überfälligen Gegenentwurf zu kolonialistischen Narrativen. Die erste jener Stimmen ist der 1888 in Bas-Congo geborene Agrarwissenschaftler Paul Panda Farnana, der als Belgiens erster Schwarzer Staatsbeamter gilt. Seine Laufbahn begleitete ein beständiger Kampf gegen rassistische Diskriminierung und für den verdienten professionellen Respekt.
Seine bedrückende Zeugnisse demaskieren die vermeintliche Aufgeklärtheit in akademischen Kreisen als Teil eurozentrischer Arroganz und weißen Herrendenkens. Für Kollegen und Vorgesetzte sei er ein lebender Widerspruch, dessen Gegenwart irritiert und verwirrt. Mit Fanandas prosaischer Direktheit kontrastiert der novelleske Ton des flämischen Landwirtschaftlers Abiron Beirnaerts. Jahrzehnte später bezeugen seine Schriften, wie wenig sich diese Mentalität verändert hat. Die zeitkritischen Chronisten, deren Gedanken der Regisseur dem Vergessen entreißt, sind Marker historiographischer Auslöschung und kanonisierter Verfälschung: Regulative einer sich selbst rechtfertigenden Geschichte.
Persönliche Aufzeichnungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbindet ein dramaturgischer Brückenschlag mit zeitgenössischen Kameraaufnahmen verstaubter Archive und zurückgelassene Messgeräte. Eine aufgegebene Forschungsstation im kongolesischen Dschungel wird zum atmosphärischen Schlüsselort Sammy Balojis abendfüllenden Regie-Debüts. Dessen faktisches Fundament zerfasert indes in spirituelle Symbolik. So liegt die Relevanz des mit Unterstützung des Anthropologen Thomas Hendriks verfassten Leinwand-Essays die eines essenziellen Korrektivs einer weiß-kolonialistischen Perspektive. Eine relevante, doch aufgrund der Tendenz zu trockenem Intellektualismus enorm anstrengende Kinoerfahrung.
- OT: L’Arbre de l’authenticité
- Director: Sammy Baloji
- Screenplay: Ellen Meiresonne, David Van Reybrouck, Thomas Hendricks
- Year: 2025
- Distribution | Production © Twenty Nine Studio & Production