Brasiliens Karneval wird zum wortwörtlichen Totentanz in Kleber Mendonça Filhos opulentem Historienkrimi. Dessen Hauptschauplatz ist das Recife des Jahres 1977, als die Militärdiktatur unzählige Menschen für immer verschwinden ließ. Die turbulente Freude der tagelangen Feierlichkeiten vermischt sich mit dem Schrecken skrupelloser Brutalität zu einem makaberen Monument der narkotisierender Nostalgie und vererbter Traumata. Zweite sind ein konstantes Motiv imWettbewerb der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes, wo der brasilianische Regisseur und sein Hauptdarsteller Wagner Moura ausgezeichnet wurden.
Moura verkörpert den Titelcharakter, der unter dem Decknamen Marcelo in die Stadt zurückkehrt. Grund dafür ist sein Sohn Fernando (Enzo Nunes), den die 77-jährige Dona Sebastiana (Tânia Maria) bei sich aufgenommen hat. Die rüstige Seniorin ist der Kopf einer linkspolitischen Organisation, die Marcelo und Fernando die Dokumente und Mittel für ihre Flucht beschafft. Doch die Luft wird dünn für den wachsamen Protagonisten, der schon auf dem Radar der korrupten Polizei ist. Das zeigt die morbide Eröffnungsszene.
Zwei Polizeibeamte interessieren sich mehr für Marcelos Fahrzeugpapieren als eine Leiche in Sichtweite. In solchen Momenten unterschwelliger Suspense liegt die Stärke des ausschweifenden Politthrillers, der sich von den organischen Vergangenheitsszenen aufgebrochen durch einen ungleich banalen Gegenwartsstrang. In jenem recherchiert die junge Studentin Flavia (Laura Lufesi) die Ereignisse, deren meteorologisch und politisch aufgeheiztes Klima schwüle Sandtöne spüren lassen. Der weitschweifige Drei-Stunden-Plot erlaubt sich einige bewusst bizarre Abschweifungen, doch gerade die sind der unterhaltsamste Aspekt des blutigen Thrillers.
Im Inneren eines Hais, den Kinoplakate für Jaws und Popeye-Cartoons referenzierten, findet sich ein Menschenbein. Dieses Mord-Indiz wird aus der Leichenhalle entwendet und Star der Sensationspresse. Die schildert, wie „Das haarige Bein“ in einem Cruising Park nächtliche Dates stört. Den bei Dona Sebastiana vorgelesenen Artikel illustriert Filho mit einem Segment in der grellen Gore-Optik zeitgenössischer Creature Features. Die semi-historische Agenten-Saga ist ebenso eine glühende Hommage an das Kino; Filter und Schlüsselort fiktiver und realer blutiger Geschichte.
Zeitungspapier auf dem Gesicht eines erschossenen Auftragskillers, das von Dutzenden Toten während der Karnevalsfeiern berichtet. Ein Filmpalast, der Jahrzehnte später zur Blutbank wird. Ein Eröffnungstext, der systemischen Terror als „Schabernack“ bezeichnet. Kleber Mendonça Filhos verschachtelter Agentenkrimi findet seinen genuinen Ton in hintersinnigen Verweisen auf das Netzwerk aus Korruption und Gewalt, das unter der ausgelassenen Atmosphäre lauert. Die überkonstruierte Struktur ächzt indes unter dramaturgischem Ballast, den der überzeugende Cast und energetische Soundtrack kaum tragen können.
- OT: O Agente Secreto
- Director: Kleber Mendonça Filho
- Year: 2025